Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
des Geistes beraubt und vom Bösen besessen, versorgte Sonya Karp noch immer ihre Blumen.
„Ja“, sagte ich. „Dies ist ihr Haus.“ Dimitri näherte sich der vorderen Veranda und betrachtete jede Einzelheit. Ich machte Anstalten, ihm zu folgen, aber er hielt mich zurück. „Was tust du da?“ Ich sprach bewusst leise. „Sie könnte dich sehen.“
Er kehrte zu mir zurück. „Das sind blickdichte Vorhänge. Sie lassen kein Licht hinein, also wird sie auch nichts sehen. Es bedeutet außerdem, dass sie ihre Zeit höchstwahrscheinlich im Erdgeschoss des Hauses verbringt und nicht im Keller.“
Ich konnte seinem Gedankengang mühelos folgen. „Das sind gute Neuigkeiten für uns.“ Als ich im vergangenen Jahr von Strigoi gefangen worden war, hatten sie meine Freunde und mich in einem Keller festgehalten. Keller waren nicht nur bequem für Strigoi, die die Sonne meiden wollten, sie bedeuteten auch weniger Flucht-und Zugangsmöglichkeiten. Für Strigoi war es leicht, ihre Beute in einem Keller zu fangen. Je mehr Türen und Fenster wir also hatten, desto besser war es für uns.
„Ich werde die andere Seite auskundschaften“, sagte er und ging auf den Garten hinter dem Haus zu.
Ich eilte ihm nach und hielt ihn am Arm fest. „Lass mich das tun. Ich spüre jeden Strigoi – nicht, dass sie rausgehen wird, aber .... nur für den Fall des Falles.“
Er zögerte, und ich wurde ärgerlich, weil ich dachte, dass er mir das nicht zutraute. Dann sagte er: „In Ordnung. Sei aber vorsichtig!“ Ich begriff, dass er lediglich besorgt um mich war.
Ich schlich so geschmeidig und leise, wie ich nur konnte, um das Haus herum und entdeckte bald, dass ich wegen des Holzzauns nur schwer in den Garten würde schauen können. Wenn ich hinüberkletterte, so fürchtete ich, würde Sonya meine Anwesenheit vielleicht bemerken, und ich grübelte darüber nach, was ich tun sollte. Die Lösung des Problems erschien in Gestalt eines großen Steins, der an der Ecke des Zauns lag. Ich schleppte den Stein herüber und stellte mich darauf. Es reichte zwar nicht aus, um ganz über den Zaun hinwegzuschauen, aber ich konnte jetzt immerhin mühelos die Hände auf den Zaun legen, mich hochziehen und mit minimalem Geräuschpegel einen Blick riskieren.
Es war, als blickte man in den Garten Eden. Die Blumen auf der vorderen Seite waren lediglich eine Aufwärmübung gewesen. Weitere Rosen, Magnolien und Apfelbäume, Schwertlilien und eine Million anderer Blumen, die ich nicht kannte. Sonyas Garten war ein Paradies üppiger Farben. Ich kundschaftete aus, was ich wissen musste, und eilte dann zu Dimitri zurück. Sydney stand noch immer am Wagen.
„Eine Patio-Tür und zwei Fenster“, berichtete ich. „Alle mit Vorhängen. Außerdem habe ich einen hölzernen Liegestuhl, eine Schaufel und eine Schubkarre entdeckt.“
„Irgendwelche Mistgabeln?“
„Leider nein, aber vor dem Zaun liegt ein Felsbrocken. Es wird jedoch schwer sein, in den Garten reinzukommen. Wir sollten mithilfe des Steins hinüberklettern. Der Zaun hat kein Tor. Sie hat sich eine kleine Festung geschaffen.“
Er nickte verständnisvoll, und ohne weiter ein Wort zu wechseln, wusste ich, was ich zu tun hatte. Wir holten die Kette aus dem Wagen und vertrauten sie Sydney an. Dann erklärten wir ihr, dass sie draußen auf uns warten solle – mit der strikten Anweisung wegzufahren, wenn wir nicht in dreißig Minuten zurück wären. Eine solche Anweisung zu erteilen, missfiel mir allerdings – und Sydneys Gesicht ließ darauf schließen, dass sie es auch nicht gern hörte. Aber es war dennoch unvermeidlich. Hätten wir Sonya nicht innerhalb dieser Zeitspanne festgesetzt, wir würden sie überhaupt nicht bekommen – oder lebend das Haus verlassen. Wenn es uns aber doch gelang, sie zu überwältigen, dann würden wir Sydney ein Zeichen geben, dass sie mit der Kette hereinkommen solle.
Sydneys bernsteinfarbene Augen waren voller Furcht, während sie uns nachblickte, als wir wieder um das Haus herumgingen. Ich hätte sie beinahe damit aufgezogen, dass sie an bösen Kreaturen der Nacht Anteil nahm, konnte mich aber gerade noch rechtzeitig zügeln. Sie mochte jeden anderen Dhampir und Moroi auf der Welt verachten, aber irgendwo unterwegs musste sie gelernt haben, Dimitri und mich zu mögen. Darüber machte man sich nicht so einfach lustig.
Dimitri stellte sich auf den Stein und betrachtete den Garten. Er murmelte mir einige letzte Anweisungen zu, bevor er meine Hände ergriff und mich
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