Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
auf ihr Mikrofon. „So haben wir überlebt. Wir halten an unserer Vergangenheit fest und heißen unsere Gegenwart willkommen. Wir nehmen das Beste von allem und werden dadurch stärker. So haben wir überlebt. So werden wir auch weiterhin überleben.“
Stille antwortete auf ihre letzten Worte – und dann setzten die Jubelschreie ein. Tatsächlich konnte ich das Gebrüll draußen auf dem Rasen hören, bevor es im Saal selbst begann. Leute, von denen ich geschworen hätte, dass sie andere Kandidaten unterstützten, waren praktisch zu Tränen gerührt, und ich hatte keineswegs vergessen, dass die meisten der Leute, die ich in diesem Raum sehen konnte, von königlichem Geblüt waren. Lissa selbst wollte in Tränen ausbrechen, nahm den Applaus dann jedoch tapfer entgegen. Als sie sich endlich setzte und die Menge sich wieder beruhigt hatte, war Nathan erneut an der Reihe.
„Nun“, sagte er. „Das war eine sehr schöne Rede, die uns allen gut gefallen hat. Aber jetzt ist es an der Zeit, dass der Rat unseren nächsten Anführer wählt, und dafür stehen – dem Gesetz nach – nur zwei Kandidaten zur Verfügung: Rufus Tarus und Marie Conta.“ Zwei Moroi, jeweils einer von der Familie Tarus und einer von der Familie der Contas, traten vor und stellten sich zu ihren jeweiligen Kandidaten. Nathans Blick fiel auf Lissa, die sich ebenso wie die anderen erhoben hatte, aber allein dastand. „Gemäß den Wahlgesetzen – Gesetzen also, die seit Anbeginn der Zeit feststehen – muss jeder Kandidat in Begleitung einer Person seiner Blutlinie vor den Rat hintreten, um die Stärke und Einheit seiner Familie zu demonstrieren. Verfügen Sie über eine solche Person?“
Lissa sah ihm in die Augen, ohne mit der Wimper zu zucken. „Nein, Lord Ivashkov.“
„Dann fürchte ich, dass Ihre Rolle in diesem Spiel jetzt beendet ist, Prinzessin Dragomir.“ Er lächelte. „Sie dürfen sich nun setzen.“
Ja. Das war der Zeitpunkt, an dem die Hölle losbrach.
Ich hatte häufig den Ausdruck gehört: „Und die Menge tobte!“ Jetzt aber sah ich es leibhaftig vor mir. Die halbe Zeit konnte ich nicht einmal den Überblick behalten, wer da was schrie oder wen unterstützte. Die Leute debattierten in Gruppen oder einer mit dem anderen. Zwei Moroi in Jeans stürzten sich auf jede gut gekleidete Person, die sie finden konnten, weil sie von der unsinnigen Annahme ausgingen, dass alle in schönen Kleidern Royals sein mussten und dass alle Royals Lissa hassten. Ihre Hingabe an Lissa war bewundernswert. Unheimlich zwar, aber auch bewundernswert. Eine Gruppe von der Familie Tarus stand vor einigen Contas, und alle schienen entweder für einen Bandenkampf oder einen Dance-Off bereit zu sein. Das war eine der bizarrsten Paarungen überhaupt, da diese beiden Familien die Einzigen waren, die in allen Punkten voll und ganz übereinstimmen sollten.
So ging es immer weiter. Die Leute stritten darum, ob Lissa für die Wahl zur Verfügung stehen solle. Sie stritten darum, gleich und jetzt eine Versammlung abzuhalten, um die Gesetze zu ändern. Einige stritten um Dinge, von denen ich überhaupt noch nichts gehört hatte. Dass einige Wächter zur Tür stürzten, brachte mich auf den Gedanken, dass die Menge von draußen versuchte, in den Saal einzudringen. Meine Mutter war unter den Verteidigungskräften, und ich wusste, dass sie recht gehabt hatte: Heute würde keine Wahl stattfinden, nicht unter diesen anarchischen Zuständen. Sie würden die Sitzung beenden und es morgen noch einmal versuchen müssen.
Lissa starrte die Menge an. Sie war wie betäubt und fühlte sich außerstande, mit all dieser hektischen Aktivität Schritt zu halten. Ihr Magen verkrampfte sich, als ihr eine Erkenntnis dämmerte. Die ganze Zeit über hatte sie geschworen, die Würde der Wahltradition zu respektieren. Und dennoch war sie selbst der Grund, warum sich die Dinge jetzt alles andere als würdevoll gestalteten. Alles war ihre Schuld. Dann aber fiel ihr Blick auf jemanden, der in einer hinteren Ecke saß, weit entfernt von dem Tohuwabohu. Ekatarina Zeklos. Die alte ehemalige Königin fing Lissas Blick auf – und zwinkerte ihr zu.
Ich verschwand aus Lizzas Geist, weil ich nicht noch mehr von dem Streit mitzubekommen brauchte, und kehrte in den Wagen zurück, mit einer neuen Idee im Kopf. Lissas Worte brannten mir auf der Seele. Sie hatten mein Herz gerührt. Und selbst wenn ihre Rede bloß als Täuschungsmanöver gedacht gewesen war, so hatte doch Leidenschaft in ihren
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