Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
war, hatten sich wie zu einem Picknick draußen vor dem Gebäude niedergelassen. Irgendjemand war glücklicherweise auf die geniale Idee gekommen, ein Soundsystem mit Außenlautsprechern zu installieren, sodass diejenigen, die nicht in den Saal kamen, trotzdem hören konnten, was geschah. Wächter bewegten sich durch die Menge und versuchten, das Chaos im Zaum zu halten – vor allem als die Kandidaten eintrafen.
Marie Conta war kurz vor Lissa erschienen, und auch wenn sie die Kandidatin mit den geringsten Aussichten war, brüllte und tobte die Menge dennoch. Wächter hielten den Mob hastig – und grob, falls notwendig – zurück, sodass sie vorbeigehen konnte. Diese Aufmerksamkeit musste beängstigend sein, aber Marie ließ sich nichts anmerken. Sie ging stolz weiter und lächelte Anhänger wie Gegner gleichermaßen an. Sowohl Lissa als auch ich erinnerten uns an Christians Worte: Du bist schließlich eine königliche Kandidatin. Benimm dich also auch so. Du verdienst das hier. Du bist die letzte Dragomir. Eine Prinzessin aus königlichem Geblüt.
Und genauso benahm sie sich auch. Dahinter steckte mehr als nur Christians Drängen. Da sie jetzt alle drei Prüfungen bestanden hatte, erhielt die uralte Prozedur, in die sie eintreten würde, immer mehr Gewicht. Hoch erhobenen Hauptes trat Lissa ein. Ihren ganzen Körper konnte ich zwar nicht sehen, aber ich erkannte doch das Gefühl ihres Gangs: anmutig, vornehm. Der Menge gefiel es, und mir kam der Gedanke, dass diese Gruppe besonders lautstark auftrat, weil die meisten von ihnen keine Royals waren. Die draußen versammelten Leute waren gewöhnliche Moroi, und es schienen diejenigen zu sein, die gelernt hatten, Lissa wahrhaft zu lieben. „Alexandras Erbin!“ „Bringt den Drachen zurück!“ Einigen Leuten genügte es auch, einfach ihren Namen zu rufen, wobei sie die Titel einer alten russischen Märchenheldin hinzufügten, die denselben Namen trug: „Vasilisa die Tapfere! Vasilisa die Schöne!“
Ich wusste, dass niemand erriete, wie viel Angst sie verspürte. So gut war sie. Christian und meine Mutter, die ursprünglich links und rechts von ihr gegangen waren, ließen sich gleichzeitig zurückfallen, sodass Lissa ihnen zwei Schritte voraus war. Es gab keine Zweifel an Lissas Stellung und Autorität. Sie setzte jeden Schritt voller Selbstvertrauen und dachte daran, dass auch ihr Großvater diesen Weg gegangen war. Sie versuchte, der Menge ein Lächeln zu schenken, das sowohl würdevoll als auch echt war. Es musste gelungen sein, denn die Leute wurden nun noch wilder. Und als sie innehielt, um eine Bemerkung über ein Drachenbanner zu machen, das ein Mann zu ihren Ehren gemalt hatte, wurde der Künstler bei der Vorstellung, dass jemand wie sie ihn wahrnahm und ihm Komplimente machte, beinahe ohnmächtig.
„So etwas ist noch nie da gewesen“, bemerkte meine Mutter, als sie endlich im Raum waren. „So viele Leute sind noch nie erschienen. Ganz gewiss nicht während der letzten Wahl.“
„Warum sind es diesmal so viele?“, fragte Lissa, die sich bemühte, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
„Weil die Wahlen mit so vielen Sensationen verbunden sind – die Ermordung Tatianas und die verworrenen Gesetze, die Sie betreffen. Das und .... na ja, die Art, wie Sie die Herzen sämtlicher Nicht-Royals dort draußen gewinnen. Und auch die Herzen der Dhampire. In einem unserer Pausenräume hängt ein Drachenschild, müssen Sie wissen. Ich glaube sogar, dass einige der Royals Sie lieben, wenn auch .... vielleicht nur, um der Familie eins auszuwischen, mit der sie gerade in einer Fehde liegen. Aber im Ernst: Wenn diese Entscheidung von allen Leuten getroffen werden würde und nicht nur vom Rat – und, nun ja, wenn Sie für die Wahl tatsächlich zur Verfügung stünden –, dann würden Sie bestimmt gewinnen.“
Lissa verzog das Gesicht, fügte aber widerstrebend hinzu: „Ehrlich? Ich bin der Ansicht, wir sollten unsere Anführer in allgemeinen Wahlen bestimmen lassen. Jeder Moroi sollte eine Stimme haben, nicht nur eine Handvoll elitärer Familien.“
„Vorsicht, Prinzessin“, neckte Christian sie und hakte sich zugleich bei ihr unter. „So ein Gerede löst nur eine weitere Revolution aus. Immer eine Revolution nach der anderen, okay?“
Die Menge im Ballsaal war zwar nicht ganz so verrückt wie die Menge dort draußen – aber doch beinahe. Die Wächter waren diesmal auf den Andrang vorbereitet und hatten dafür gesorgt, dass sie von Anfang an alles
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