Vampire Academy 06 ● Schicksalsbande
mal über fließendes Wasser verfügt?“
Sidney stieß einen ihrer typischen entnervten Seufzer aus. „Weißt du denn überhaupt nichts über West Virginia?“
Es gefiel mir nicht, dass sie und Dimitri mich im Ungewissen hielten, und zwar beide. Natürlich konnte Sidneys Wortkargheit alle möglichen Gründe haben. Es konnte durchaus noch eine Anordnung Abes sein. Oder vielleicht wollte sie auch einfach nicht mit mir reden. Da die meisten Alchemisten Dhampire und Vampire als Höllengezücht betrachteten, freundeten sie sich im Allgemeinen nicht allzu sehr mit uns an. Unsere gemeinsame Zeit in Sibirien hatte ihre Ansichten etwas verändert. So hoffte ich jedenfalls. Manchmal strahlte sie einfach aus, dass sie kein geselliger Typ war.
„Du weißt doch, dass man uns die Sache in die Schuhe geschoben hat, nicht?“, fragte ich sie. „In Wirklichkeit haben wir gar nichts getan. Es heißt, ich hätte die Königin getötet, aber .... “
„Ich weiß“, unterbrach mich Sidney. „Ich habe alles darüber gehört. Alles, was die Alchemisten darüber wissen. Ihr beide steht ganz oben auf der Liste der gesuchten Personen.“ Sie bemühte sich um einen geschäftsmäßigen Tonfall, konnte ihre Beklommenheit jedoch nicht gänzlich verbergen. Ich hatte das Gefühl, dass Dimitri sie noch nervöser machte als ich, was leicht verständlich war, zumal er auch einige unserer eigenen Leute nervös machen konnte.
„Ich habe es nicht getan“, beharrte ich. Irgendwie war es mir wichtig, dass sie das wusste.
Sidney ging nicht auf meine Bemerkung ein. Stattdessen sagte sie: „Du solltest etwas zu dir nehmen. Dein Essen wird ja ganz kalt. Wir haben noch etwas über drei Stunden vor uns und werden nicht mehr anhalten, außer zum Tanken.“
Ich erkannte den Tonfall der Endgültigkeit in ihrer Stimme, ebenso wie die Logik. Sie wollte nicht mehr reden. In der Tüte fand ich zwei riesige Portionen Pommes frites und drei Cheeseburger. Sie kannte mich offenbar immer noch ziemlich gut. Ich musste mich mit aller Gewalt zurückhalten, mir die Pommes frites nicht auf der Stelle in den Mund zu stopfen. Stattdessen bot ich Dimitri einen Cheeseburger an.
„Willst du einen? Du musst ja auch bei Kräften bleiben.“
Er zögerte mehrere Sekunden lang, bevor er den Cheeseburger tatsächlich nahm. Er schien ihn mit so etwas wie Staunen zu betrachten, und mir wurde klar, dass die Aufnahme von gewöhnlicher Nahrung nach diesen letzten Monaten für ihn immer noch etwas Neues bedeutete. Strigoi ernährten sich ausschließlich von Blut. Ich reichte ihm auch einige Pommes frites, dann drehte ich mich wieder um und machte mich daran, den Rest zu verschlingen. Ich gab mir gar nicht erst die Mühe, Sidney etwas anzubieten. Sie war für ihren Mangel an Appetit berüchtigt, und außerdem ging ich davon aus, dass sie, während sie auf uns gewartet hatte, bereits gegessen hatte, falls ihr danach gewesen war.
„Ich glaube, das hier ist für dich“, sagte Dimitri und reichte mir einen kleinen Rucksack. Ich öffnete ihn und fand einige Kleider zum Wechseln, außerdem die wichtigsten Toilettenartikel. Die Sachen sah ich mir zweimal an.
„Shorts, Blusen und ein Kleid. Darin kann ich aber nicht kämpfen. Ich brauche Jeans.“ Zugegeben, das Kleid war zauberhaft: ein langes, luftiges Sommerkleid mit Aquarelldruck in Schwarz, Weiß und Grau. Aber sehr unpraktisch.
„Das also nennst du Dankbarkeit“, bemerkte Sidney. „Alles musste ziemlich schnell gehen. Ich konnte nicht allzu viel einpacken.“
Ich sah mich um und entdeckte, dass Dimitri seine eigene Tasche auspackte. Wie mein Rucksack enthielt auch sie einige Kleidungsstücke und dazu ....
„Einen Mantel?“, rief ich und sah zu, wie er den langen Ledermantel herauszog. Dass er überhaupt dort hineingepasst hatte, widersprach sämtlichen Gesetzen der Physik. „Du hast es geschafft, ihm einen Mantel zu besorgen, aber für mich konntest du keine Jeans auftreiben?“
Meine Entrüstung schien Sidney nichts auszumachen. „Abe meinte, ein Mantel sei von der größten Bedeutung. Außerdem, wenn alles so läuft, wie es laufen soll, wirst du überhaupt nicht kämpfen.“ Das hörte sich in meinen Ohren überhaupt nicht gut an. Sicher und abgelegen.
Da ich die wahrscheinlich schweigsamsten Reisegefährten auf der ganzen Welt hatte, war ich klug genug, während der nächsten drei Stunden keine echte Konversation zu erwarten. Gewiss war das auch ganz gut so, denn es ermöglichte mir, nach Lissa zu schauen.
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