Vampire bevorzugt
richtete.
»Erzählen Sie es mir«, sagte Calvin, als er die Serviette entfaltete, und schon fühlte ich mich längst nicht mehr so unbehaglich. Er aß, während ich ihm erzählte, was in der kleinen Gasse geschehen war. Ich bemerkte, dass das Essen mein Hühnchen-Reis-Gericht war, und daneben lagen zwei meiner Brötchen. Ich sollte sehen, dass er das von mir gekochte Gericht auch wirklich selbst aß. Das berührte mich, was allerdings eine Warnglocke in meinem Hinterkopf schrillen ließ.
»Ohne Dawson könnte ich Ihnen jetzt also nicht mehr erzählen, was geschehen ist«, beendete ich meinen Bericht. »Vielen Dank, dass Sie ihn losgeschickt haben. Wie geht es ihm?«
»Er schwebt noch immer in Lebensgefahr und wurde mit dem Hubschrauber von Grainger nach Baton Rouge verlegt«, sagte Calvin. »Wäre er kein Werwolf, wäre er sicher längst tot. Er hat es jetzt so weit geschafft, ich denke, er überlebt es.«
Ich fühlte mich entsetzlich.
»Machen Sie sich keine Vorwürfe deswegen«, fuhr Calvin fort. Seine Stimme klang plötzlich viel tiefer. »Es war Dawsons Entscheidung.«
Ein »Hm?« hätte zu unhöflich geklungen, also fragte ich: »Wie das?«
»Es war seine Entscheidung, den Job zu übernehmen. Es war seine Entscheidung, zu handeln. Er hätte sich vielleicht ein paar Sekunden früher auf sie stürzen sollen. Warum hat er abgewartet? Ich weiß es nicht. Woher wusste sie bei der Dunkelheit, dass sie tief zielen muss? Ich weiß es nicht. Entscheidungen ziehen Konsequenzen nach sich.« Calvin suchte nach den richtigen Worten für etwas. Er war von Natur aus kein redegewandter Mann, und jetzt versuchte er, einem zugleich wichtigen und abstrakten Gedanken Ausdruck zu geben. »Niemand hat Schuld«, sagte er schließlich.
»Es wäre schön, wenn ich das glauben könnte, und ich hoffe, eines Tages wirklich davon überzeugt zu sein. Vielleicht bin ich sogar schon auf dem Weg dorthin.« Es stimmte, ich hatte all die Selbstbezichtigungen und Grübeleien so satt.
»Ich nehme an, die Werwölfe werden Sie zu ihrer kleinen Leitwolf-Party einladen«, sagte Calvin und nahm meine Hand. Seine Hand war warm und trocken.
Ich nickte.
»Ich wette, Sie gehen hin.«
»Das muss ich wohl«, erwiderte ich unbehaglich und fragte mich, worauf er hinaus wollte.
»Ich werde Ihnen nicht sagen, was Sie tun sollen. Ich habe keine Macht über Sie.« Er klang nicht gerade erfreut darüber. »Aber wenn Sie dorthin gehen, passen Sie auf sich auf. Nicht um meinetwillen, das bedeutet Ihnen nichts. Aber um Ihrer selbst willen.«
»Das kann ich Ihnen versprechen«, sagte ich nach einer wohlüberlegten Pause. Calvin war die Sorte Mann, bei dem keiner mit der erstbesten Idee herauszuplatzen wagte. Er war ein ernsthafter Mann.
Calvin lächelte, was nur höchst selten geschah. »Sie sind eine ausgezeichnete Köchin.« Ich erwiderte sein Lächeln.
»Danke, Sir«, sagte ich und stand auf. Seine Hand schloss sich fester um meine und zog daran. Keiner widersetzt sich einem Mann, der eben aus dem Krankenhaus gekommen ist, und so beugte ich mich herab und hielt meine Wange an seinen Mund.
»Nein«, sagte er, und als ich den Kopf ein wenig drehte, um zu erfahren, was er meinte, küsste er mich auf den Mund.
Offen gestanden hatte ich erwartet, gar nichts zu empfinden. Doch seine Lippen waren ebenso warm und trocken wie seine Hände, und er roch nach meinem Essen, vertraut und heimisch. Es war sehr überraschend, und überraschend angenehm, Calvin Norris so nahe zu sein. Ich wich etwas zurück, und mein Gesicht ließ sicher meinen leichten Schreck erkennen. Der Werpanther lächelte und ließ meine Hand los.
»Das Gute an meinem Krankenhausaufenthalt war, dass Sie mich besuchen gekommen sind«, sagte er. »Werden Sie nicht zu einer Fremden, jetzt da ich wieder zu Hause bin.«
»Natürlich nicht«, entgegnete ich und eilte aus dem Zimmer, um meine Fassung wiederzugewinnen.
Die meisten Gäste waren bereits gegangen und das Wohnzimmer hatte sich geleert, während ich mit Calvin gesprochen hatte. Crystal und Jason waren verschwunden, und Maryelizabeth räumte Teller zusammen; dabei wurde sie unterstützt von einer heranwachsenden Werpantherin.
»Das ist Terry«, sagte Maryelizabeth mit einem Kopfnicken in Richtung der Jugendlichen. »Meine Tochter. Wir wohnen nebenan.«
Ich nickte dem Mädchen zu, das mir einen stechenden Blick zuwarf, ehe es sich wieder an die Arbeit machte. Ein Fan von mir war sie jedenfalls nicht. Sie gehörte zu dem hellhaarigen
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