Vampire Diaries - Stefan's Diaries - Nur ein Trop
drei verschiedene Leben zu leben: In dem einen war ich ein ergebener Bruder, in dem anderen war ich ein neues Mitglied in einem Club, den ich nicht ganz verstand, und im dritten war ich ein junger Mann, der sein Vertrauen einer menschlichen Frau schenkte– einer Frau, zu deren Rettung er sein eigen Fleisch und Blut gepfählt hatte. Das Problem war nur, dass ich nicht genau wusste, wie ich alle drei Leben unter einen Hut bekommen sollte.
» Du bist so still«, sagte Lexi mitten im Gehen. » Und«– sie schnupperte– » du hast kein Menschenblut getrunken. Ich bin stolz auf dich, Stefan.«
» Danke«, murmelte ich. Ich wusste, dass sie ganz und gar nicht stolz wäre, wenn ich ihr von meinem Gespräch mit Callie erzählte. Sie würde sagen, dass ich zu impulsiv sei, zu naiv, dass ich einen großen Fehler gemacht hätte, als ich Callie mein Geheimnis verraten hatte. Obwohl ich es ihr weniger verraten hatte, als dass ich ihren bemerkenswert treffenden Verdacht bestätigt hatte.
» Da wären wir«, bemerkte Lexi und blieb vor einer unauffälligen Holztür in der Dauphine Street stehen. Sie nahm einen schmalen Metallhaken aus der Tasche und führte ihn klappernd in das Schloss an der Tür ein. Kurz darauf sprang es auf.
» Und jetzt ist die Schneiderei für Kundschaft geöffnet.« Lexi breitete die Hände weit aus und hockte sich auf ein steifes Ledersofa. » Such dir etwas aus.«
Ein Dutzend Schneiderpuppen präsentierten sich mit breiter Brust: Die eine trug eine Tweedjacke und hob den Arm zu einem Winken, während eine andere mit Seemannsmütze auf dem Kopf eine Hand über die Augen gelegt hatte, als starre sie direkt hinaus aufs Meer. Ballen feiner Stoffe lehnten an der hinteren Wand, und unter dem Glas der Verkaufstheke glitzerten zahlreiche Manschettenknöpfe. Fertig geschneiderte Hemden bewachten stapelweise und stumm den verdunkelten Laden, und einige Krawatten quollen aus einer Schublade.
Lexi schlug die Beine unter ihren Röcken übereinander und schaute mich mit einem stolzen Gesichtsausdruck an, während ich einen Kamelhaarmantel von einer der Puppen zog und ihn mir um die Schultern legte.
Steif stand ich da und wartete auf ihre Zustimmung, wie ich es getan hatte, wenn meine Mutter mit mir einkaufen gegangen war.
» Nun, ich kann nichts erkennen, wenn du so hölzern wie eine Schneiderpuppe dastehst. Lauf ein wenig herum. Finde heraus, wie es dir gefällt«, sagte Lexi mit einer ungeduldigen Handbewegung.
Ich rollte mit den Augen, drehte aber gehorsam eine Runde durch den Raum und verhielt mich dabei wie die reichen Herren, die Callie und ich bei der Varietévorstellung gesehen hatten. Mit einer schwungvollen Geste streckte ich Lexi eine Hand hin. » Haben Sie Lust auf einen Tanz?«, fragte ich mit übertrieben britischem Akzent.
Lexi schüttelte den Kopf, und die Erheiterung in ihren Augen war nicht zu übersehen.
» In Ordnung, ich hab’s kapiert. Der Mantel ist ein klein wenig zu geleckt. Wie wäre es mit dem hier?« Sie deutete mit dem Kinn auf eine Schneiderpuppe in schwarzen Hosen und grauem Mantel mit roten Paspeln. Ich zog den Kamelhaarmantel aus und legte mir den neuen Mantel um die Schultern.
Lexi nickte; ihr Blick aber schweifte in weite Ferne.
» Woran denkst du?«, fragte ich.
» An meinen Bruder«, antwortete sie.
Ich dachte an den Jungen auf dem Porträt, dessen Augen so große Ähnlichkeit mit Lexis hatten. » Was ist mit ihm?«
Lexi griff nach einer Seidenkrawatte und ließ sie zwischen ihren Fingern hindurchgleiten. Sie sah mich nicht an, als sie antwortete. » Nach dem Tod unserer Eltern bin ich manchmal mit einem jungen Mann spazieren gegangen, der ein Vampir war. Er fragte mich, ob ich ewig leben wolle. Und natürlich wollte ich das, denn ich war jung, und wer wollte nicht für immer jung und schön sein? Außerdem: Wenn ich mich verwandelte, würde ich auch Colin niemals verlassen müssen. Er hatte schon so viel verloren, und ich dachte, na ja, zumindest sollte er wissen, dass er mich niemals verlieren würde.«
» War Colin auch ein Vampir?«
Lexi zog die Krawatte zwischen den Fingern hindurch und ließ sie wie eine Peitsche knallen. » Das würde ich niemals jemandem antun, den ich liebe.«
Vor meinem inneren Auge blitzte das Bild auf, wie ich Damon zwang, von Alice zu trinken, der Schenken-Wirtin von Mystic Falls. Ich senkte den Blick, denn ich wollte nicht, dass Lexi spürte, was ich einem geliebten Menschen angetan hatte. » Was ist dann passiert?«
» Die Leute
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