Vampire küssen besser
Frauen der Welt galt. Nur das mit den Klauen und Zähnen, das traf zu.
Und da kam sie uns auch schon entgegengesegelt, in einem tintenschwarzen bodenlangen Gewand mit breitem Ledergürtel und Lederverschnürung über der Brust. Frankensteins Braut hätte sich kein besseres Hochzeitskleid wünschen können, zumal sich der Kragen zu einer gigantischen, fast bis zum Boden reichenden Kapuze erweiterte. Wie üblich trug sie am Hals ihr Friedenszeichen. Wahrscheinlich war das der Gothic-Look meiner Mutter, doch auf einen Nasenring hatte sie dankenswerterweise verzichtet. Bei unserem Anblick klatschte sie in die Hände und rief: »Daphy, wie siehst du denn – wie nett du aussiehst! Und wie schön, dass du eine Freundin mitgebracht hast.«
»Mar-Mar, das ist Benny Polycarp, eine Kollegin bei meinem neuen Job.« Um sie noch einmal daran zu erinnern, dass meine Mutter nichts über unseren wahren Job wusste, zwickte ich Benny heimlich. Auf dem Hinweg hatten wir geprobt, was sie sagen sollte, und ich hoffte, sie hatte es nicht vergessen. »Benny, das ist Marozia Urban, meine Mutter.«
»Ich freue mich riesig, Sie kennenzulernen«, sagte Benny in ihrem Südstaaten-Singsang. »Es gibt mir so ein heimeliges Gefühl, mal wieder einen Familienbesuch zu machen. Ich bin noch neu in New York und unsicher wie eine Hure in der Kirche.«
Um an dem Abend den Schein zu wahren, hatte Mar-Mar auf ihren üblichen Joint verzichtet und sich der allgemein akzeptierten Methode des Trinkens zugewandt. Aber so benebelt sie auch war, sie taxierte Benny mit halb zusammengekniffenen Lidern, und ich möchte wetten, dass ihr nichts entging. »Woher kommen Sie?«
»Aus Branson. Branson in Missouri. Direkt vom Land. So was wie hier habe ich noch nie gesehen. Sie haben ein fabelhaftes Haus, Marozia, und auch Scarsdale gefällt mir prima. Die ganzen tollen Kaufhäuser und Starbucks und Barnes and Nobels, fast wie im Himmel. Da, wo ich herkomme, ist nur Wald, da muss man sogar fürs Tageslicht Leitungen legen. Obwohl ich persönlich ja kein Tageslicht brauche.«
Mar-Mar schaute mich fragend an.
»Ja, sie ist ein Vampir«, flüsterte ich.
»Ach, wie wundervoll«, bemerkte Mar-Mar erfreut, legte einen Arm um Benny und führte sie in Richtung Wohnzimmer. »Aber wie um alles in der Welt kommt denn ein Vampir nach Branson?«, erkundigte sie sich leise.
Ich zockelte hinter den beiden her und hörte, dass Benny zu einer Geschichte über einen Bluegrass-Banjospieler ausholte, den sie so um 1920 kennengelernt hatte. Wie er ihr wundervolle Dinge ins Ohr geflüstert und wenig später Sachen mit ihr gemacht hatte, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass Leute so was taten … und wie dann eins zum anderen kam und es kein Halten mehr gab und ihr Daddy sie umgebracht hätte, wenn er dahintergekommen wäre, aber das war er dann doch nicht …
Den Rest der Geschichte blendete ich aus. Ich hatte den gewissen jungen Mann entdeckt, der sich mit einem Ausdruck weltlichen Überdrusses auf dem Sofa räkelte. Louis, wie ich annahm. Beim Anblick seiner Kleidung musste ich mir ein Kichern verbeißen. Nie im Leben hätte ein Hetero ein Hemd aus lavendelblauer Seide getragen, mit aufgeknöpften Rüschenmanschetten, die über seine Handrücken fielen, und einem Ring an jedem Finger. Um nichts in der Welt würde ich mit einem Mann ausgehen, der mehr Schmuck trug als ich. Als Nächstes wurden mir seine Blässe und die grünen, beinahe durchscheinenden Augen bewusst. Er hatte inzwischen gemerkt, dass ich ihn anstarrte, und mir sein Gesicht zugekehrt. Die Härchen an meinen Armen stellten sich auf, als wäre irgendetwas über mein Grab gelaufen. Er machte eine lässige Kopfbewegung und dunkle Locken fielen ihm in die Stirn. Ich konnte nicht entscheiden, ob er dem jungen Keith Richards oder eher Ru- Paul glich.
Und so jemanden stellte sich meine Mutter unter einem Mann für mich vor? Das konnte nicht ihr Ernst sein. Der Typ war entweder schwul oder zumindest bisexuell.
Schließlich erhob sich Louis zu einer beträchtlichen Länge und verbeugte sich leicht in unsere Richtung. Als er mich anlächelte, überlief mich ein Schauder. Zum Glück musste ich mir keine weiteren Gedanken machen, denn Louis’ Blick war zu Benny gewandert und dort haftengeblieben. Er kam zu uns, reichte ihr seine weiße Hand, und als Benny sie erfasste, führte er ihre Hand zu seinen auffallend roten Lippen und küsste ihr nacheinander jeden Finger. »Ich bin Louis«, sagte er, indem er seinen Namen
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