Vampire küssen besser
während die Kraftströme entwichen. Wenig später steckte ich wieder in meiner menschlichen Gestalt. Vorsichtig hob ich Gunther aus seinem Nest, zog meine Sachen aus der Tasche und kleidete mich an. Zur Sicherheit tastete ich nach dem Scheck in der Hosentasche. Er war noch an Ort und Stelle. So weit, so gut. Im Grunde versprach ich mir nicht allzu viel von diesem Besuch, doch auf dem Weg zur Tür beschlich mich ein seltsames Gefühl.
Ich hatte den Raum kaum verlassen, da wusste ich bereits, dass mein Gefühl nicht von ungefähr kam, denn gleich hinter der Tür schlug mir der Geruch nach frischem Blut entgegen. Ich folgte seiner Spur und gelangte ins Wohnzimmer. Nichts. Kein Chaos, keine Anzeichen eines Kampfes. In der Küche wurde der Geruch stärker und führte mich zum Dienstbotenzimmer. Auf dem Bett lag ein geöffneter Koffer, halb gepackt, auf dem Boden wie eine Lumpenpuppe die mürrische Tanya, mit dem Gesicht nach unten. Um ihren Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet, wie eine dunkle Rotweinpfütze sah sie auf dem Hartholzboden aus. Ich trat um das Blut herum, bückte mich, packte Tanyas Schultern und drehte sie behutsam um. Leere, blicklose Augen, die Kehle durchtrennt. Der Schnitt war glatt und ordentlich ausgeführt worden. Auf die Art brachten Überfallkommandos einen feindlichen Wachposten um. Mein Herz verkrampfte sich. Ob das Darius’ Handwerk war? Ich flüsterte ein Gebet, während ich Tanya sachte zurück in ihre vorherige Stellung legte.
Als Nächstes beschloss ich, in die Diele zu gehen, um auf dem Telefontischchen nach Bonaventures Adresse auf dem Land zu suchen. Es konnte zwar sein, dass J längst wusste, wo der Landsitz lag, doch in Anbetracht des dürftigen Dossiers hätte mich das gewundert. Darius wiederum, der mochte die Adresse kennen … Lieber war mir jedoch, ich kam selbst dahinter. Es war nicht nur befriedigender, sondern gab mir auch die Möglichkeit, ohne J und Darius weiterzumachen, getreu meiner Devise: Lieber hinterher um Verzeihung bitten, als vorher um Erlaubnis fragen.
Auf dem Weg zur Diele gelangte ich ins Esszimmer. Es war ein überladener Raum mit vergoldetem Mobiliar und der Statue eines Mohren an einer Wand, der ein Tablett in den ausgestreckten Händen hielt und mich auf verstörende Weise angrinste. Mit einem Mal kippte der Raum vor meinen Augen. Taumelnd versuchte ich, mein Gleichgewicht zu wahren, und blickte benommen umher. Entweder hatte der lange Flug mich ermüdet, oder aber Louis’ mörderische Blutgier und Tanyas Tod hatten mich stärker mitgenommen, als ich dachte. Ich stützte mich auf einer Stuhllehne ab und stellte fest, dass mir neuer klebrig-süßer Blutgeruch in die Nase stieg.
Ich holte ein paar Mal tief Luft und hielt mir vor Augen, dass ich stark war, sowohl physisch als auch psychisch. Normalerweise wurde mir nicht schwummrig, und ich neigte auch nicht zu Ohnmachtsanfällen. Vielmehr spürte ich, dass das Böse hier gegenwärtig gewesen war und seine Spuren hinterlassen hatte. Tapfer machte ich mich auf in die Diele und wappnete mich für das, was mich dort erwarten würde.
Kurz vor der Eingangstür lag Issa ausgebreitet auf dem Boden, die Kehle mit der gleichen militärischen Präzision wie bei Tanya durchschnitten. Sein Gesicht war verzerrt, der Mund aufgerissen. Ich sah die schiefen Zähne. Ihn drehte ich nicht um, berührte ihn nicht einmal. Stattdessen stand ich regungslos und versuchte zu begreifen, was hier abgelaufen war.
Für mich lag auf der Hand, dass Issa der »Muskelprotz« gewesen war, der Benny eins über den Schädel gegeben hatte – falls das überhaupt geschehen war. Vielleicht hatte sich Benny die Szene ja nur ausgedacht, nachdem sie Issa und Tanya getötet hatte. Vielleicht hatte sie die Diamanten selbst gewollt. Im Gegensatz zu mir war Benny nicht reich. Und Vampire sind in vielerlei Hinsicht ein habgieriger Haufen, rücksichtslos, genusssüchtig und mit oberflächlichen Moralvorstellungen, falls sie überhaupt welche haben. Wahrscheinlich würde ich Benny nicht einmal einen Vorwurf machen, doch die Möglichkeit musste ich im Auge behalten. Immerhin hatte Benny ein rotes Kostüm getragen – Blutspritzer hätte man darauf nicht erkannt. Aber wie hätte sie sich dann an das Laufband fesseln können? Auch dass sie auf militärische Art tötete, leuchtete mir nicht ein. Vampire verschwenden kein Blut. Ein Vampir hätte zugebissen und die beiden klassischen Einstichwunden hinterlassen, es sei denn, die durchtrennten Kehlen
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