Vampire küssen besser
»Mein Empfang ist nicht so gut. Wo steckst du?«
»Ähm, bin gerade in Manhattan unterwegs«, brüllte ich.
»Ich verstehe dich kaum«, sagte Darius. »Sitzt du im Taxi? Steht das Fenster offen? Ich höre Verkehrslärm.«
»Kein Wunder, der Fahrer hat das Fenster geöffnet.« Ich konnte ja nicht gut sagen: ›Nein, ich fliege haushoch die Fifth Avenue entlang.‹ »Wo bist du?«
»Kümmere mich ums Geschäft«, erwiderte Darius. Genau die Art von Antwort, die ich auf den Tod nicht leiden konnte.
»Hast du es in die Wohnung geschafft? Die Tür war offen. Hat alles geklappt?«
»Ja. Danke. Das hast du großartig gemacht. – Daphy, hör mal …« Darius’ Stimme war weicher geworden. Doch in dem brausenden Wind verstand ich kein weiteres Wort.
»Was? Ich kann dich nicht verstehen!«, schrie ich.
»War nicht wichtig«, sagte Darius lauter. »Ich wollte nur deine Stimme hören. Sichergehen, dass alles in Ordnung ist.«
»Bei mir ist alles bestens.«
»Gut. Also – dann mach ich jetzt Schluss. Ich wollte dir nur sagen, dass ich – dass ich an dich denke.«
»Ich denke auch an dich!«, schrie ich. Das war wenigstens nicht gelogen, denn im Moment dachte ich an ihn.
»Pass auf dich auf«, kam es von Darius. Dann lachte er. »Wir haben noch viel vor. Vergiss das nicht.«
»Nein, vergesse ich nicht. Pass du auch auf dich auf«, sagte ich und wich gleichzeitig dem leeren Leiterkorb eines Fensterputzers aus, den jemand an einer Gebäudewand hängengelassen hatte.
»Bis später, schöne Frau«, sagte Darius, und ich glaubte, ehe ich das Handy ausdrückte, ein Kussgeräusch zu hören. Doch bei dem Wind war das schwer zu bestimmen. Benny warf mir einen vielsagenden Blick zu und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Was ist?«, rief ich ihr zu.
»War das Darius? Ich glaube, er mag dich!«, schrie sie zurück. »Er mag dich
wirklich.
«
»Halt die Klappe«, entgegnete ich, schmeckte im Geist Darius’ Lippen, entsann mich seiner Hände auf meinen Brüsten und wurde von meinem uralten Hunger nach Blut gepackt. Ich wollte von Darius trinken, lange und tief, bis mich sein Leben erfüllte. Und auch wenn ich den Gedanken nach Kräften von mir schob, spürte ich, dass es in meinem Herzen zu tanzen begann, bis mir ein lautes Lachen in die Kehle stieg.
Am Ende der Canal Street öffnete sich der Holland Tunnel wie ein aufgerissenes Maul zu den Innereien der Erde und führte einen endlosen Strom Autos nach Westen, zu dem Brachland und den übelriechenden Gegenden von New Jersey. Schneibels Lagerhaus lag dort wie ein schwerer Kasten, eckig und gedrungen. Benny und ich landeten auf dem Sims jenes großen Fensters, aus dem seine Hand hervorgekommen war, um mir den Schlüssel zuzuwerfen. Es war ein Drahtglasfenster, jedoch unverschlossen. Ich drückte es auf, und sogleich schlug mir Blutgeruch entgegen.
Eine nach der anderen flogen wir ins Haus und kamen auf die Füße. Die Strahler in der Galerie waren eingeschaltet und beschienen eine grausige Szene. Auf dem Boden verteilt lagen zerschlagene Masken. Einige der Statuen aus Knochen, Holz und Haar waren von ihren Podesten gestoßen und offenbar in einem Ausbruch rasender Wut zertrümmert worden. Auf einer Wand hatte ein blutiger Sprühregen einen Halbkreis hinterlassen, rote Spritzer auf Weiß, wie bei einem Pollock-Gemälde. Mr.Schneibel lag auf dem Boden, mit einer Axt tief in der Brust, das weiße Haar blutrot gefärbt, die Augen leblos hoch zur Decke gerichtet.
Ich war zu spät gekommen. Mr.Schneibel hatte versucht, seine Sammlung zu zerstören, doch ihm hatte die Zeit gefehlt. Der Großteil der Objekte war verschwunden, und wer immer sie besaß, verfügte nun über Kräfte, die Menschen nicht zustanden – Werkzeuge des Todes, deren schwarze Schatten sich über das Land verbreiten konnten.
»Mein Gott«, hauchte Benny. »Wer hat das getan?«
»Vermutlich Bonaventure.«
»Schrecklich.«
»Wenn du wüsstest, wie schrecklich!«
Mit vorsichtigen Schritten und indem sie dem Blut auf dem Boden auswich, durchquerte Benny die Galerie. »Daphy, komm mal her.«
Sie stand neben der Tür, am anderen Ende des Raumes. Als ich zu ihr trat, erkannte ich auf dem Boden verstreut Holzwolle, dazwischen ein Teppichmesser und auf einem Tisch lag eine Ray-Ban-Sonnenbrille. Die Sonnenbrille nahm ich an mich und steckte sie in meine Handtasche. Für sich gesehen war sie bedeutungslos, doch vielleicht würde sie mich zu Schneibels Mörder führen. Immerhin ist auch ein Lottoschein
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