Vampire küssen besser
nachzuschauen, wie es Gunther ging. Der arme kleine Wicht lag zusammengerollt da und schlief tief und fest. Wie viel er von dem, was in Schneibels Galerie vorgefallen war, begriffen hatte, konnte man nicht sagen, aber ich wusste, dass Tiere intelligenter waren, als die meisten Menschen glaubten. Gunther wusste, was Furcht, Leid, Schmerzen und Tod bedeuteten. Und er wusste, was Liebe war. Mit Sicherheit hatte er seinen Verlust erfasst und getrauert. Im Königreich der Tiere kamen gewaltsame Tode alle Tage vor. Darüber nachdenken würde Gunther wohl nicht, aber fühlen konnte er allemal.
Ich nahm mir noch Zeit, mein Make-up aufzufrischen, meine Kleidung glattzustreichen und mich innerlich aufzurichten. Danach verließ ich die Wohnung durch die Vordertür. Auf dem Weg hatte ich sorgsam darauf geachtet, nicht in die Blutspuren zu treten, denn ich wollte weder Fußabdrucke hinterlassen noch meine Jimmy-Choo-Stiefeletten ruinieren. Wegen der Fingerabdrücke machte ich mir keine Sorgen, schließlich war ich aus legitimen Gründen bei Bonaventure gewesen. Ohnehin war meine größte Sorge im Moment die Zeit, denn es war bereits fünf Uhr, und ich musste zu Hause sein, ehe der Tag anbrach.
Unten angekommen durchquerte ich die kleine Eingangshalle, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Ein anderer Portier hatte den Wachdienst übernommen, ein junger hispanisch aussehender Bursche. Er hatte die Füße auf den Empfangstisch gelegt, sah sich auf einem tragbaren Fernseher eine Sendung auf Spanisch an und süffelte Apfelschnaps aus der Flasche. Ich bat ihn, mir ein Taxi zu rufen, woraufhin er mit breitem Grinsen und anzüglichem Blick sagte: »Ts, ts, ts. Unser Issa! Der Typ hat echt ein Händchen.« Solange er nicht die Polizei verständigte, sollte er denken, was er wollte. Doch für alle Fälle beschloss ich, es noch einmal bei J zu versuchen. Vielleicht kannte er Mittel zur Schadensbegrenzung.
Sowie ich im Taxi saß, wählte ich die Nummer seines Büros. J war da.
»Hermes hier.«
»Ringrichter hier. Wo stecken Sie?«
Es war kaum zu fassen, aber ich war richtig froh, Js Stimme zu hören. Nach der ständigen Unsicherheit, wem ich glauben und trauen konnte, kam er mir plötzlich wie ein sicherer Hafen vor. Vielleicht konnte ich ja doch auf ihn zählen. »In einem Taxi.«
»Sagen Sie nichts. Melden Sie sich heute Abend so früh wie möglich in meinem Büro.«
»Roger«, sagte ich. »Ich muss Ihnen aber trotzdem etwas sagen. Bei den Reparaturarbeiten in der Wohnung ist was schiefgelaufen. Große Sauerei, fürchte ich. Am besten, Sie schicken eine Putztruppe vorbei. Sie soll den Dienstboteneingang nehmen. Haben Sie verstanden?«
»Roger. Wie viele Stücke wurden beschädigt?«, fragte J so unbeteiligt, als lägen tatsächlich nur ein, zwei zerbrochene Vasen auf dem Boden.
»Zwei«, antwortete ich mit brüchiger Stimme.
»Verstanden. Wir kümmern uns darum«, sagte er ebenso gleichgültig wie zuvor, und mit einem Mal empfand ich seine kalte, beherrschte Art als tröstlich. »Legen Sie sich schlafen, Hermes«, setzte er hinzu.
Ehe er auflegen konnte, stieß ich rasch hervor: »Was ist mit der Sache in New Jersey?«
»Erledigt. Alles Weitere heute Abend.«
»Na gut«, antwortete ich und wusste nicht, wie ich mich ausdrücken sollte, um nachzufragen, wer bei seiner Ankunft noch am Leben gewesen war.
»Hermes!«, unterbrach seine schroffe Stimme meine Gedanken.
»Was ist?«
»Bleiben Sie auf der Hut!« Danach legte er auf.
Fix und fertig vor Müdigkeit taumelte ich in meine Wohnung, streifte noch im Gehen meine Kleidung ab und ließ sie achtlos zu Boden fallen. In der Küche füllte ich für Gunther eine Schale mit Wasser, holte ihn aus der Handtasche hervor und setzte ihn auf den Frühstückstresen, wo er mit rosa Äuglein ins Licht blinzelte. Auf der Suche nach Futter stieß ich auf eine Packung Teegebäck, das ich mir einmal im Monat aus England schicken lasse. Ich brach ein Stückchen ab und reichte es Gunther. Er nahm es in seine winzigen Rattenfinger und knabberte so zierlich daran wie eine Dame der Gesellschaft.
Während Gunther Keksbröckchen verdrückte und Wasser aus seiner Schale trank, leerte ich eine kleine Flasche Pellegrino und rülpste auf die Kohlensäure. Auch sehr damenhaft. Im Kühlschrank entdeckte ich im Fleischfach eine Packung mit geschnetzeltem Lendensteak. Das musste genügen, denn zum Kochen war ich zu erledigt. Ich verschlang das Fleisch im Stehen und verließ mit Gunther
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