Vampire küssen besser
ging mir zwar bis zu den Schenkeln, doch um irgendwo einzubrechen, war er vermutlich besser als meine knallgelbe Jacke. Schweigend machten wir uns über die einfache Zufahrt auf den Weg zum Haus. Einmal ergriff Darius meine Hand, um sie beruhigend zu drücken. Der weiche Boden verschluckte unsere Schritte, und da ich noch im schwächsten Licht sehen kann, stolperte ich auch nicht. Darius wiederum fluchte leise, als er gegen einen Stein stieß und um ein Haar das Gleichgewicht verlor.
Nach etwa hundert Metern tauchte das Haus wie ein bleiches Phantom vor uns auf. In den Fenstern des ersten Stocks brannten Lichter, die von Kerzen stammen mochten. Das letzte Stück Weg war von hohem Gras überwachsen, mit harten Halmen, die unter unseren Schritten knirschten, als würden dort kleine Tiere winzige Knochen zernagen. Die kalte Nachtluft durchdrang meine Kleidung, und mich befiel ein Frösteln, gepaart mit einem unbestimmten Angstgefühl. Tiefhängende Wolken zogen über den Mond hinweg und dämpften das ohnehin nur trübe Licht. Kahle Äste zupften an meinem Pullover, als wollten sie mich zurückhalten, als wollte die Natur mir sagen:
Geh nicht weiter, geh nicht dahin!
Dann standen wir vor dem Haus, einem alten, heruntergekommenen Gebäude, das der Verfall wie ein Leichentuch umhüllte. Der große Vorplatz war von steinernen Nymphen umringt, zum größten Teil angeschlagen oder geborsten, gespenstische Figuren, denen Köpfe oder Arme fehlten oder die gänzlich zerfallen waren, so dass nur noch ein leerer Sockel dastand. Zwischen den Terrakotta-Fliesen wucherte Unkraut. Die ganze Umgebung wirkte vernachlässigt, wenn nicht gar tot.
Der einzige Hinweis darauf, dass hinter den Mauern jemand zu Hause war, war der Mercedes, der mitten auf dem Vorplatz stand, ein riesiger schwarzer Schatten. Eine Katze drückte sich am Haus entlang und verschwand um die Ecke. Irgendwo in weiter Ferne bellte ein Hund, und ich glaubte auch eine Eule rufen zu hören. Ich begann am ganzen Leib zu zittern. Und dann nahm ich mit einem Mal den feuchten Geruch nach frischer Erde wahr. Er ließ mich nach Atem ringen, weil er mich an irgendetwas erinnerte, an einen Ort, an dem ich vor langer Zeit gewesen war.
Früher einmal musste dieses Haus imponierend gewesen sein, das erkannte man anhand der feudalen Strukturen, selbst wenn der Putz abbröckelte, der Balkon eingesackt war und an seinem schmiedeeisernem Geländer Streben fehlten. Das spitze Dach war schiefergedeckt, und an jeder Ecke des Hauses ragte ein gemauerter Schornstein auf – vier dicke schwarze Finger, die in den dunklen Himmel stachen. Die schmalen Fenster waren hoch und durch Pfosten unterteilt. Wahrscheinlich hatten sie einmal recht vornehm gewirkt. Inzwischen war jedoch jedes Fenster mit Eisenstangen verriegelt, die eindeutig neu und ausgesprochen widerstandsfähig aussahen.
Ebenfalls neu war die von zwei Säulen flankierte Eingangstür aus Metall. Eintreten ließ sie sich mit Sicherheit nicht. Plan A konnten wir vergessen.
Darius und ich blickten uns an. »Plan B?«, flüsterte er.
Ich trennte mich von dem alten Pullover und reichte ihn Darius, der ihn in seinen Rucksack stopfte. Dann zupfte ich mein Haar zurecht und marschierte hocherhobenen Hauptes auf die Eingangstür zu.
Der Messingklopfer hatte die Form eines Drachenkopfes. Entschlossen hob ich den Metallring – und stellte verdutzt fest, dass die Tür nur angelehnt war. Die Sicherheitsvorkehrungen ließen eindeutig zu wünschen übrig. Ich drückte die Tür ein Stück auf und linste ins Haus. Die Eingangshalle war zwar nicht beleuchtet, aber auch nicht vollkommen dunkel. Ich erkannte breite Treppenstufen aus dunklem Holz. Auf dem Absatz, wo sie sich teilten, um mit elegantem Schwung auf zwei Seiten weiter nach oben zu führen, schimmerte ein rundes Buntglasfenster auf. Ich drehte mich um und bedeutete Darius, näher zu kommen.
»Auf geht’s«, flüsterte er, als er neben mir stand.
Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Darius versetzte mir einen kleinen Schubs, doch ich rührte mich nicht. »Nach dir«, flüsterte ich.
Darius stieß die Tür ganz auf und trat in die Eingangshalle. Ich schlich hinter ihm her und witterte den Geruch nach feuchter Erde, der im Haus noch stärker war als draußen.
Zu unserer Rechten lagen Flügeltüren aus Bleiglas und dahinter ein großer Salon, an dessen Rückwand unter einer schwach leuchtenden Tiffanylampe ein Flügel stand. Daneben gruppierten sich viktorianische Sitzmöbel mit
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