Vampire küsst man nicht: Argeneau Vampir 12
war. Natürlich hätte ihm das sofort einfallen sollen, anstatt die Blutung stoppen zu wollen, aber er hatte einfach nicht klar denken können. Genau genommen war das der Fall, seit er das Apartment verlassen hatte und kurz darauf ein Wagen die Straße entlanggefahren kam, in dem Ernie am Steuer saß. Der kurze Blick hatte genügt, um zu erkennen, dass Jo auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Er sah zu Ernie, der noch immer wie tot dalag, mit einem Pfeil, der in der Herzgegend aus seiner Brust ragte. Solange der Pfeil dort steckte, würde der Mann sich nicht rühren. Die Frau, die in dem Durcheinander entkommen war, stellte natürlich ein Problem dar, mit dem sich später noch jemand befassen musste.... vorzugsweise nicht er selbst. Ansonsten lief er nämlich Gefahr, dem kleinen Miststück den Hals umzudrehen, weil es auf Jo geschossen hatte. Dass der Schuss ihm gegolten und nur versehentlich Jo getroffen hatte, spielte dabei für ihn keine Rolle. Jo stöhnte leise, und er beugte sich vor, um sie genau zu beobachten.
Wieder stöhnte sie, dann bewegte sie ganz leicht den Kopf. Nicholas kniff die Augen zu und flüsterte: »Ich danke dir, Gott.« Die Wandlung hatte eingesetzt, er war nicht zu spät gekommen.
Beim dritten Stöhnen schlug er die Augen jedoch wieder auf, da ihn eine Sorge erfüllte. Die Wandlung war für Körper und Geist ein schmerzhafter und zermürbender Vorgang, der mit Albträumen und Halluzinationen einherging, die so schrecklich waren, dass ein im Wandeln Befindlicher darüber den Verstand verlieren konnte. Nicholas war nicht bereit, ein solches Risiko einzugehen. Es gab Medikamente und Techniken, um ihr durch die Wandlung zu helfen, und er würde dafür sorgen, dass sie alles Notwendige bekam.
Er stand auf, sah sich im Zimmer um, schaute zu Jo und schließlich zu Ernie. Er wollte den Abtrünnigen dort zurücklassen, aber er konnte nicht riskieren, dass die Frau zurückkehrte und den Pfeil aus seiner Brust zog, um ihm zur Flucht zu verhelfen. Schließlich verließ er das Zimmer, lehnte die Tür an, damit sie nicht ins Schloss fiel, und lief über den Parkplatz zu seinem Van, den er rückwärts vor das Motelzimmer fuhr.
Zurück im Zimmer, zog er Jos T-Shirt wieder herunter und löste ihre Fesseln, um mit den Seilen Ernie zu verschnüren. Dann vergewisserte er sich, dass der Pfeil nach wie vor in dessen Brust steckte, und trug den Mann nach draußen, um ihn mit Schwung auf die Ladefläche zu schleudern. Der dumpfe Knall, mit dem der Abtrünnige auf dem Wagenboden landete, hatte etwas sehr Befriedigendes. Er ging zurück ins Zimmer und hob Jo vom Bett, doch dann besah er sich den Blutfleck auf ihrem T-Shirt. Seinem Plan zufolge wollte er sie auf den Beifahrersitz setzen, doch dieser große rote Fleck würde mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken, als ihm recht sein konnte. Also legte er sie wieder hin, sah sich um, und da fiel ihm eine Lederjacke auf, die über einer Stuhllehne hing. Vermutlich gehörte sie der entflohenen Frau, aber das war egal, weil er sie nur über Jos Brust ausbreiten musste, um den Fleck zu verdecken. Schließlich hob er Jo abermals vom Bett hoch und ging mit ihr zur Tür.
Nicholas kam gerade rechtzeitig aus dem Zimmer, um zu sehen, wie Dee auf die Ladefläche kletterte, wohl um Ernie zu helfen. Kurzerhand übernahm er die Kontrolle über sie, ließ sie einsteigen und befahl ihr dann, sich gegen die seitliche Wand gelehnt hinzusetzen. Schließlich stieg er selbst ein, hockte sich mit Jo in seinen Armen hin und zog die Hecktüren zu. Dann ging er gebückt nach vorn, platzierte sie auf dem Sitz und legte ihr den Gurt an, damit sie nicht herunterrutschen konnte. Nachdem er sich ans Steuer gesetzt und den Motor angelassen hatte, griff er nach seinem Handy, fasste aber ins Leere. Erst nachdem er in zwei weiteren Taschen gesucht hatte, fiel ihm ein, dass er sein Telefon gar nicht mehr besaß. Fluchend kniff er die Augen zu und überlegte, was er nun machen sollte, da zuckte er zusammen, weil plötzlich jemand gegen die Seitenscheibe klopfte. Neben dem Wagen stand ein großer, beleibter Mann um die fünfzig, der ihn besorgt ansah. Nicholas öffnete das Fenster.
»Alles in Ordnung, Freund? Die Dame da sieht nicht besonders gesund aus. Benötigt sie Hilfe?«, fragte der Mann in einem Tonfall, der zwar Besorgnis, aber auch Argwohn erkennen ließ.
Nicholas drehte sich zu Jo um und bemerkte ihr fahles Gesicht. Wenigstens wurde die Lederjacke durch den Sicherheitsgurt gegen sie gedrückt,
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