Vampire schlafen fest
Gedanken lesen zu lassen.«
Joseph Velasquez trat unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen.
Sophie-Anne nickte einen kurzen Augenblick später, dann auch Stan. Königin Sophie-Anne und König Stan, ermahnte ich mich. Barry verbeugte sich auf routinierte Weise, wofür ich ihm beinahe die Zunge herausgestreckt hätte. Ich deutete einen Knicks an, und dann verließen wir beide die Suite.
Sigebert sah uns fragend an. »Die Königin, sie braucht Sie nicht?«
»Im Moment nicht«, erwiderte ich und zeigte ihm den Pager, den Andre mir noch in die Hand gedrückt hatte. »Der Pager vibriert, wenn sie mich braucht.«
Sigebert betrachtete das Gerät misstrauisch. »Wär aber besser, Sie bleiben.«
»Die Königin hat erlaubt, dass ich gehe«, sagte ich.
Und weg war ich, mit Barry im Schlepptau. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl in die Lobby hinunter und suchten uns eine abgelegene Ecke, wo sich niemand unbemerkt an uns heranschleichen oder uns belauschen konnte.
Ich hatte noch nie mit jemandem komplett über Gedanken kommuniziert, und Barry auch nicht, also spielten wir damit eine Weile herum. Barry erzählte mir seine Lebensgeschichte, während ich zuerst versuchte, all die Gedanken der anderen Leute abzublocken, und dann, Barry und all den Gedanken der anderen Leute gleichzeitig zuzuhören.
Das machte richtig Spaß.
Barry war besser als ich bei der Beurteilung, wer in einer Menge was dachte, stellte sich heraus. Ich dagegen konnte besser Nuancen und Einzelheiten erkennen, nicht immer ganz einfach beim Gedankenlesen. Aber wir hatten eine Menge Gemeinsamkeiten.
Wir waren uns beispielsweise einig, wer die besten Sender in der Lobby waren. Das hieß, unsere »Lesefähigkeit« war gleich stark ausgeprägt. Einmal zeigte Barry auf eine Frau (zufällig meine Zimmergenossin Carla), deren Gedanken wir beide gleichzeitig lasen und dann auf einer Skala von eins bis fünf (fünf war die lauteste, deutlichste Sendefrequenz) bewerteten. Carla bekam eine Drei, da waren wir uns einig. Danach machten wir mit ein paar anderen Leuten noch die Probe aufs Exempel, und es stellte sich heraus, dass wir uns in dieser Hinsicht fast immer einig waren.
Hey, das war ja interessant.
Versuchen wir's mal mit Berührung, schlug ich vor.
Barry grinste nicht mal anzüglich, er war genauso gebannt wie ich. Ohne großes Getue nahm er meine Hand, und wir sahen in unterschiedliche Richtungen.
Die Gedanken erreichten mich so klar und deutlich, als würde ich ein Gespräch mit allen Leuten in der Lobby gleichzeitig führen. Es war, als wäre eine CD auf volle Lautstärke gedreht worden, bei vollkommen ausgepegelten Höhen und Bässen. Faszinierend und erschreckend zugleich. Obwohl ich nicht zur Rezeption sah, hörte ich ganz deutlich eine Frau dort fragen, ob die Vampire aus Louisiana schon angekommen seien. Ich entdeckte mein eigenes Bild in den Gedanken des Portiers, der sich freute, mir eins auswischen zu können.
Es gibt Ärger, warnte Barry mich.
Ich fuhr herum und sah eine unfreundlich dreinblickende Vampirin auf mich zukommen, mit glühenden haselnussbraunen Augen und wehendem, glattem hellbraunem Haar. Sie war sehr schlank und sehr gehässig.
»Endlich, da haben wir ja jemanden aus der Louisiana-Gruppe. Verstecken sich die anderen alle? Sagen Sie Ihrer verdammten Scheiß-Königin, dass ich mir ihren Sarg an die Wand nagle! Mit dem Mord an meinem König kommt sie nicht durch! Ich will sie gepfählt sehen und der Sonne ausgesetzt auf dem Dach dieses Hotels!«
Tja, leider erwiderte ich, was mir als Erstes durch den Kopf schoss. »Was soll das Drama, bin ich Ihre Mama?«, schimpfte ich wie mit einer Elfjährigen. »Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«
Klar, das war sicher Jennifer Cater. Ich wollte schon hinzufügen, was für ein Charakterschwein ihr König gewesen war. Doch meinen Kopf wollte ich noch etwas länger dort lassen, wo er hingehörte, und diese Frau wäre schon bei einer geringeren Beleidigung ausgetickt.
Eins musste man ihr lassen: Ihr finsterer Blick war wirklich beeindruckend.
»Ich sauge Sie aus, bis auf den letzten Blutstropfen!«, rief sie. Wir hatten bereits eine gewisse Aufmerksamkeit auf uns gezogen.
»Ooooo«, sagte ich entnervter, als klug gewesen wäre. »Wie gruselig. Das würden die bei Hof sicher gern hören, was? Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre. Aber ist es nicht verboten - oh, ja - sogar gesetzlich verboten, dass Vampire Menschen mit dem Tod bedrohen? Oder habe ich da einfach nur was falsch
Weitere Kostenlose Bücher