Vampire schlafen fest
sicher sehr.« Aber das wäre genauso dämlich gewesen wie die typische Reporterfrage an die Eltern eines vermissten Kindes: »Und wie fühlen Sie sich?«
»Er war ein großer Krieger«, sagte ich stattdessen, und genau das hatte Sigebert hören wollen. Er klopfte mir auf die Schulter, mit einem Schlag, unter dem ich beinahe zu Boden ging. Dann wurde sein Blick plötzlich ein wenig abwesend, als würde er einer Durchsage lauschen.
Ich hatte schon immer vermutet, dass die Königin mit ihren Geschöpfen telepathisch sprechen konnte, und als Sigebert ohne ein weiteres Wort die Tür für mich öffnete, wusste ich, dass ich recht hatte. Ich war nur froh, dass sie mit mir keinen Kontakt aufnehmen konnte. Mit Barry machte das Gedankengespräch ja Spaß, aber wenn wir uns öfter sehen würden, hätte ich's ziemlich bald über. Und außerdem war Sophie-Anne sehr viel furchterregender.
Die Suite der Königin war feudal. So was hatte ich noch nie gesehen. Die Teppiche waren cremefarben und dick wie Schaffelle, die Sitzmöbel mit goldenen und blauen Polstern bezogen und die Glasverkleidungen der abgeschrägten Wand blickdicht. Eins muss ich zugeben: Diese riesige dunkle Fläche machte mich entschieden nervös.
Und inmitten all dieser Pracht saß auf einem Sofa Sophie-Anne: klein und extrem bleich, die glänzenden braunen Haare locker hochgesteckt, in einem himbeerroten Seidenanzug mit schwarzen Paspeln und schwarzen Pumps aus Krokodilleder. Ihr Schmuck war aus schwerem Gold, aber recht schlicht.
Sophie-Anne hätte besser in ein Outfit aus Gwen Stefanis Modelabel L.A.M.B, gepasst. Auf jeden Fall wäre es ihrem Alter angemessener gewesen, denn sie war mit etwa fünfzehn oder sechzehn gestorben. Zu ihren Lebzeiten galt sie in diesem Alter bereits als erwachsene Frau und hätte Mutter sein können. In unserer Zeit hätte sie in dem Alter bestenfalls als kaufsüchtiges Fashion Victim gegolten. In den Augen von uns Modernen war sie entschieden zu jung für die Kleider, die sie trug. Aber man hätte schon geisteskrank sein müssen, um ihr das zu sagen. Sophie-Anne war der gefährlichste Teenager der Welt, und der zweitgefährlichste stand wie immer genau hinter ihr. Nachdem Andre mir einen durchdringenden Blick zugeworfen und die Tür sich hinter mir geschlossen hatte, setzte er sich neben Sophie-Anne. Was wohl ein Zeichen dafür sein sollte, dass ich zum Club gehörte.
Andre und seine Königin tranken beide TrueBlood, und das synthetische Blut hatte ihnen eine rosige - fast menschliche - Farbe verliehen.
»Sind Sie auch gut untergebracht?«, fragte Sophie-Anne höflich.
»Ja, danke. Ich teile mir ein Zimmer mit einer... Freundin von Gervaise«, erwiderte ich.
»Mit Carla ? Warum?« Ihre Augenbrauen schossen in die Höhe wie dunkle Vögel an einem klaren Himmel.
»Das Hotel ist ausgebucht. Es macht mir nichts aus. Sie wird ohnehin die meiste Zeit mit Gervaise verbringen.«
»Was halten Sie von Johan?«, fragte Sophie-Anne.
Ich spürte, wie mein Gesichtsausdruck sich verhärtete. »Ich finde, er gehört ins Gefängnis.«
»Er soll dafür sorgen, dass ich nicht hineinkomme.«
Flüchtig versuchte ich, mir ein Vampirgefängnis vorzustellen, gab es aber schnell auf. Weil ich ihr über Johan nichts Positives sagen konnte, nickte ich bloß.
»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie von ihm aufgefangen haben.«
»Er ist sehr angespannt und widersprüchlich.«
»Erklären Sie das.«
»Er macht sich Sorgen - hat Angst - weiß nicht, wem er die Treue halten soll - will nur lebend davonkommen - interessiert sich nur für sich selbst.«
»Dann unterscheidet er sich doch in nichts von anderen Menschen«, warf Andre ein.
Sophie-Anne reagierte mit einem winzigen Zucken ihrer Mundwinkel. Dieser Andre, was war er doch für ein Witzbold.
»Die wenigsten Menschen stechen eine Frau nieder«, sagte ich so gelassen wie möglich. »Den wenigsten Menschen macht so etwas Spaß.«
Der brutale Mord, den Johan Glassport begangen hatte, ließ Sophie-Anne nicht vollkommen kalt, doch sie war natürlich ein wenig mehr um ihre eigene juristische Verteidigung besorgt. Jedenfalls las ich das aus ihr heraus. Bei Vampiren musste ich mich allerdings ganz auf die Körpersprache verlassen, da ich aus ihren Gedanken keine Erkenntnisse gewinnen konnte.
»Er wird mich verteidigen, ich bezahle ihn, und dann kann er gehen, wohin er will«, sagte Sophie-Anne. »Und dort kann ihm dann natürlich alles Mögliche zustoßen.« Sie warf mir einen
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