Vampire's Kiss
blättern, und plötzlich kam mir der Geistesblitz. Ich deutete auf eine Passage und erklärte mit Nachdruck: »Zumindest steht das hier. Die Deutschen schätzen Direktheit. Bis hin zur Schonungslosigkeit.«
Schallendes Gelächter beendete seine Pose der Langeweile. »Du hast deine Hausaufgaben gemacht.«
»Wie immer.« Gegen meinen Willen freute ich mich über das Lob. Aber – Scheiße – hieß das in der Tat, dass ich seine Nähe gesucht hatte? Dass mir etwas an seiner Anerkennung lag?
»Du bist wirklich so schlagfertig und vielseitig, wie wir gehofft hatten.« Er studierte meine Züge, und das machte mich nervös. Wonach suchte er? »Was hast du sonst noch herausgefunden, meine kleine Acari?«
Dass ich beim Flirten mit einem Vampir immer den Kürzeren zog?
Das konnte ich natürlich nicht bringen, und so ratterte ich ein paar Dinge herunter, die mir in meiner Lektüre aufgefallen waren. »Deutsche Geschäftsleute legen großen Wert auf Strukturen. Hierarchien, Titel und die formellen Anreden, die sich daraus ableiten, sind ihnen wichtig. Ach ja, und Pünktlichkeit – die vor allen Dingen.«
Ein schwaches Lächeln huschte über sein Gesicht – es war das gleiche Lächeln, das meinen Herzschlag stets in den Panikbereich katapultierte. »Das klingt wie eine Beschreibung von uns Vampiren.«
Ich schwieg, um das richtig einzuordnen. Ich hegte den Verdacht, dass der Moment, in dem ich unbeabsichtigt einen Vampir beleidigte, mein letzter sein könnte. »Ja, Sie haben recht. Das alles erinnert ein wenig an das Leben hier auf der Insel. Sie hat die besten Aspekte einer uralten Kultur bewahrt.« Ich klopfte mir für diese geschliffene Ansage insgeheim auf die Schulter.
Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und beugte sich weit vor. »Ähnlich wie die Vampire halten sich die deutschen Geschäftsleute an ein strenges Regelwerk. Ist das nicht so?«
Ein verdammt strenges Regelwerk. Auch wenn ich das nicht ganz so krass ausdrückte. »Ja. In einer typischen Zusammenkunft sind viele Konventionen zu beachten.«
»Zum Beispiel?«
»Ach, diese Einzelheiten langweilen Sie sicher.«
»Mal sehen.«
Ich ratterte sie herunter wie aus der Pistole geschossen. Das Thema fiel mir leichter als die Antwort auf die Frage, weshalb ich die Wissenschaftliche Bibliothek zu meinem Lieblingsplatz erkoren hatte. »Der Herr betritt einen Raum vor der Dame.« Ich konnte mir denken, dass die Vampire von dieser Regel begeistert waren. »Die formelle Begrüßung besteht aus einem kurzen, festen Händedruck. Man setzt sich erst, wenn man zum Platznehmen aufgefordert wird. Streit, Übertreibungen und Emotionen sind unbedingt zu vermeiden.«
Er hob eine Hand, um meinen Redefluss zu stoppen. »Das reicht.«
»Weshalb muss ich das alles eigentlich wissen? Findet unsere Mission in Deutschland statt?«
Sein Lachen klang ein wenig gönnerhaft. »Nein, querida . Unsere Mission findet nicht in Deutschland statt. Du erfährst rechtzeitig alles, was du wissen musst. Für den Augenblick bin ich mit deiner Vorbereitung sehr zufrieden. Vampir-Anwärter Joshua hat seine Sache gut gemacht.«
Genau genommen hatte ich meine Sache gut gemacht – Joshs einziger Beitrag war dieses Buch gewesen. Aber Ehre, wem Ehre gebührte, und so sagte ich: »Ja, er hat mir ein ausgezeichnetes Buch besorgt.«
»Wie ich hörte, war das nicht alles, was er für dich getan hat.«
Ich versteifte mich. Natürlich hatte er von dem jüngsten Überfall der Eingeweihten gehört. Aber wie verpackte ich die Geschichte am besten, um kein Missfallen zu erregen? Ich überlegte lange, bevor ich meine Antwort formulierte. »Ich befand mich in einer kompromittierenden Lage, und Vampir-Anwärter Joshua erwies sich als Gentleman.«
Alcántara sah nicht gerade begeistert drein, und ich spürte, wie Angst in mir aufstieg.
Ich brannte darauf, zu erfahren, ob Josh jetzt in Schwierigkeiten steckte, weil es Vampir-Anwärtern verboten war, sich den Guidons zu widersetzen. Josh und ich waren zwar nicht die engsten Freunde, aber ich wollte auf keinen Fall, dass er bestraft wurde. Immerhin hatte er mich gegen Masha und ihre Clique verteidigt. Ich trug die Verantwortung, falls ihm etwas zustieß.
Ich musste das Thema wechseln und Alcántara von Josh ablenken. Das einzige Mittel, das mir dazu einfiel, war das moralische Pendant eines Wimpernklimperns. Obwohl weibliche Raffinesse normalerweise nicht mein Ding war, beschloss ich, den Versuch zu wagen.
Und okay, vielleicht hätte es bei
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