Vampirgeflüster
Urgroßvaters. Dieser Elf wäre glücklich gewesen, wenn ich hier blutend auf dem Boden gelegen hätte. Ich setzte mich aufrechter hin, weil mich plötzlich der Gedanke überfiel, dass mich vermutlich nicht mal alle Polizisten der Welt zusammen vor einem Elf schützen könnten. Mein Herz hämmerte erneut vor Angst, auch wenn es irgendwie ermüdet auf den Adrenalinstoß zu reagieren schien. Ich wollte jemandem sagen, dass ich in Gefahr schwebte, doch ich wusste, dass der Elf sich nicht nur in den Wald zurückziehen würde, sobald ich mit dem Finger auf ihn zeigte, sondern dass ich damit auch die Menschen um mich herum gefährden würde. Und das hatte ich heute wahrlich schon zur Genüge getan.
Als ich mich halb aus dem Klappstuhl erhob, ohne einen wirklich guten Plan im Kopf, drehte der Elf sich um und verschwand.
Herrje, kann ich nicht mal einen Moment lang Ruhe haben? Bei diesem Gedanken sank ich in den Stuhl zurück, musste mich vornüberbeugen und mein Gesicht in den Händen verbergen, denn ich lachte. Aber es war ein sehr unfrohes Lachen. Andy kam zu mir, ging in die Hocke und versuchte, mir ins Gesicht zu sehen. »Sookie«, sagte er, und sein Ton war ausnahmsweise mal sanft. »Hey, Mädchen, nicht schlappmachen. Du sollst zu Sheriff Dearborn kommen.«
Und ich musste nicht nur mit Sheriff Dearborn reden, sondern auch noch mit jeder Menge anderer Leute. Später konnte ich mich an kein einziges dieser Gespräche mehr erinnern. Aber ich sagte allen, die mir Fragen stellten, die Wahrheit.
Dass ich im Wald einen Elf gesehen hatte, erwähnte ich allerdings nicht, einfach weil keiner fragte: »Haben Sie heute Nachmittag sonst noch jemanden hier gesehen?« Als ich mich einen Augenblick lang mal etwas weniger geschockt und elend fühlte, wunderte ich mich, warum er sich überhaupt gezeigt hatte und warum er gekommen war. Verfolgte er mich etwa irgendwie? Wurde ich mithilfe einer Art Supra-Wanze ausspioniert?
»Sookie«, sagte Bud Dearborn. Ich blinzelte.
»Ja, Sir?« Ich stand auf, meine Muskeln zitterten.
»Sie können jetzt gehen, wir werden später noch mal mit Ihnen sprechen.«
»Danke«, sagte ich, ohne richtig wahrzunehmen, was ich eigentlich sagte. Ich fühlte mich wie benommen. Dennoch stieg ich in meinen Wagen. Fahr nach Hause, sagte ich mir, zieh dein Kellnerinnen-Outfit an und geh zur Arbeit. Mit Drinks durchs Merlotte's zu eilen war besser, als zu Hause zu sitzen und die Ereignisse des Tages zu rekapitulieren. Falls es mir gelingen würde, noch lange genug auf den Beinen zu bleiben.
Amelia war in der Arbeit, und so hatte ich das Haus für mich, als ich meine Arbeitshose anzog und mein langärmliges T-Shirt mit dem Merlotte's-Logo. Mir war kalt bis auf die Knochen, und zum ersten Mal wünschte ich mir, Sam hätte uns auch ein Merlotte's-Sweatshirt zur Verfügung gestellt. Mein Spiegelbild im Badezimmer sah fürchterlich aus: Ich war bleich wie ein Vampir, hatte tiefe Ringe unter den Augen und sah vermutlich genau so aus wie jemand, der an diesem Tag schon viele blutende Leute gesehen hatte.
Der Spätnachmittag war kalt und still, als ich hinaus zu meinem Wagen ging. Bald würde es dunkel werden. Seit ich durch Blutsbande an Eric gebunden war, musste ich jeden Tag bei hereinbrechender Dämmerung an ihn denken. Und weil wir nun miteinander geschlafen hatten, war aus meinen Gedanken ein heftiges Verlangen geworden. Ich versuchte, ihn auf der Fahrt zur Arbeit in den hintersten Winkel meines Hirns zu verbannen, doch er bestand darauf, sich immer wieder in den Vordergrund zu drängen.
Vielleicht lag es daran, dass mein Tag so ein Albtraum gewesen war, aber ich hätte all meine Ersparnisse gegeben, um Eric jetzt sofort treffen zu können. Langsam trottete ich auf den Eingang für Angestellte zu, den Griff des Handspatens in meiner Umhängetasche fest umklammert. Ich dachte, so wäre ich gegen jeden Angriff gewappnet. Doch ich war so in Gedanken versunken, dass ich gar nicht mit meinen telepathischen Fühlern nach anderen Lebewesen Ausschau hielt und Antoine erst dann im Schatten des Müllcontainers stehen sah, als er grüßend auf mich zukam. Er rauchte eine Zigarette.
»Herrgott, Antoine, du hast mich zu Tode erschreckt!«
»Tut mir leid, Sookie. Willst du irgendwas einpflanzen?« Er beäugte den Handspaten, den ich aus der Tasche gezogen hatte. »Ist nicht allzu viel los heute Abend. Ich gönn mir grad 'ne Zigarettenpause.«
»Sind alle friedlich heute Abend?« Ich steckte den Handspaten wieder in die
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