Vampirmelodie
den Blick ab und versuchte, das Ganze einfach zu leugnen.
Als ich das nächste Mal an ihr vorbeikam, bat sie Sam gerade, ihr noch mehr Salzbrezeln hinzustellen. Sam griff nach der Schale. »Beeil dich lieber«, warf ich gehässig ein.»Wir wollen die gute Jane doch nicht verärgern, sodass sie wieder ihren Rechtsanwalt anrufen muss.« Sam sah mich überrascht an. Er hatte die Post noch nicht gesehen. »Jane verklagt uns nämlich, Sam«, sagte ich, schon auf dem Weg zur Küchendurchreiche, um Antoine die nächsten Bestellungen zu geben. »Wegen ihrer Krankenhauskosten und wohl auch noch wegen psychischer Schäden«, fügte ich über die Schulter hinweg hinzu.
»Jane!«, rief Sam hinter mir ehrlich erstaunt aus. »Jane Bodehouse! Wo willst du trinken, wenn du uns verklagst? Wir sind die einzige Bar in der Gegend, die dich überhaupt noch reinlässt!« Sam sagte nichts weiter als die Wahrheit. Über die Jahre hinweg hatten die meisten Bars in der Gegend sich geweigert, Jane noch zu bedienen, weil sie dazu neigte, den Männern in ihrer nächsten Umgebung schlüpfrige Angebote zu machen. Nur die Betrunkensten gingen darauf ein, da Jane sich nicht mehr so sorgfältig um ihre äußere Erscheinung kümmerte wie noch vor einem Jahr.
»Du kannst nicht einfach aufhören, mich zu bedienen«, meinte sie empört. »Sagt Marvin. Und dieser Anwalt.«
»Ich glaube doch«, erwiderte Sam. »Und zwar ab sofort. Weißt du überhaupt, was in dieser Klage steht?« Das war eine kluge Frage.
Als hätte er uns gehört, stürmte Marvin durch die Tür herein, äußerst aufgebracht. »Mama!«, rief er. »Was machst du hier? Ich habe dir doch gesagt, dass du hier nicht mehr hergehen kannst.« Er fing meinen Blick auf und sah verlegen weg. Alle im Merlotte’s hielten inne in dem, was sie gerade taten, und hörten zu. Es war beinahe so gut wie Reality-Fernsehen.
»Marvin«, sagte ich, »ich bin wirklich verletzt, dass du uns derart behandelst. Wie oft habe ich dich angerufen, statt deine Mutter selbst nach Hause fahren zu lassen?Wie oft haben wir hinter ihr hergewischt, wenn ihr übel wurde? Und von dem Abend, als ich sie davon abhielt, mit einem Mann auf die Damentoilette zu verschwinden, will ich gar nicht erst reden. Willst du deine Mutter jeden Abend zu Hause festhalten? Wie willst du das schaffen?«
Ich sagte nichts, was nicht der Wahrheit entsprach. Und Marvin Bodehouse wusste das.
»Dann wenigstens die Hälfte der Krankenhausrechnung?«, erwiderte er kläglich.
»Ich zahle ihre Rechnung«, bot Sam großzügig an. Klar, er hatte sie ja noch nicht gesehen. »Aber erst, wenn wir von deinem Rechtsanwalt einen Brief bekommen haben, in dem er uns versichert, dass du sonst nichts weiter verlangst.«
Marvin starrte einen Moment lang finster auf seine Schuhe hinab. Dann sagte er: »Ich glaube, du kannst bleiben, Mama. Versuch, nicht zu viel zu trinken, hörst du?«
»Aber sicher, mein Schatz«, sagte Jane, klopfte auf den Tresen und rief dann Sam zu, so als wäre sie die Wirtin des Hauses: »Immer her mit dem Bier.«
»Das kommt auf deinen Deckel«, sagte Sam. Und plötzlich lief das Leben in der Bar wieder in normalen Bahnen. Marvin trottete hinaus, und Jane trank. Sie taten mir beide leid, aber ich war nicht verantwortlich für ihr Leben. Ich konnte einzig und allein Jane von der Straße fernhalten, wenn sie betrunken war.
An und ich arbeiteten hart. Weil alle, die hereinkamen, hungrig waren (vielleicht mussten sie auftanken, um sich ihre Gerüchte auszudenken), hatte Antoine so viel zu tun, dass er ein paar Mal die Nerven verlor, ein ungewöhnliches Ereignis. Sam versuchte, sich die Zeit zu nehmen, die Leute lächelnd zu begrüßen, aber er musste sich beeilen, um mit den Getränkebestellungen Schritt zu halten. Mir taten die Füße weh, und ich musste mein Haar ausdem Pferdeschwanz lösen, es bürsten und neu hochbinden. Ich freute mich aufs Duschen mit einem Verlangen, das in seiner Intensität fast schon etwas Sexuelles hatte. Es gelang mir sogar, meinen Termin – ich würde es nicht Verabredung nennen – mit Eric, den ich am späteren Abend noch hatte, zu vergessen. Doch als er mir wieder einfiel, bemerkte ich, dass ich bislang weder eine Uhrzeit noch einen Ort von ihm genannt bekommen hatte.
»Scheißegal«, sagte ich zu der Platte knuspriger Pommes frites, die ich an einen Tisch voller Automechaniker trug. »Bitte schön. Und hier ist noch scharfes Ketchup, falls Sie’s gefährlich mögen. Guten Appetit zusammen.«
Kurz
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