Vampirmelodie
bleiben, weil niemand eine Kaution für sie anbot. War Calvin Norris, der Anführer der Werpanther, denn nicht hergekommen, um für sein Rudelmitglied die Kaution zu zahlen, fragte ich mich, erfuhr aber später, dass dies schon Ginjers dritte Straftat war und er sie beim ersten und zweiten Mal gewarnt hatte, dass seine Geduld Grenzen habe. Diane Porchia kam aber auf Kaution raus; ihr Ehemann saß traurig und niedergeschlagen in der letzten Reihe.
Dann musste ich vortreten. Ich sah zur Richterin hinauf, einer freundlich, aber sehr scharfsinnig wirkenden Frau. »Richterin Rosoff« stand auf ihrem Namensschild, und sie war wohl etwa Mitte fünfzig. Ihr Haar trug sie in einem Dutt, und ihre überdimensionierte Brille ließ ihre Augen aussehen wie die eines Chihuahuas.
»Miss Stackhouse«, sagte sie nach einem Blick auf die Unterlagen vor sich. »Dies ist die Anklageerhebung gegen Sie wegen Mordes an Arlene Daisy Fowler. Sie werden des Mordes mit bedingtem Vorsatz beschuldigt, auf den eine lebenslängliche Freiheitsstrafe steht. Sie haben einen Rechtsbeistand, wie ich sehe. Miss Osiecki?«
Beth Osiecki holte einmal tief Luft. Plötzlich verstand ich, dass sie noch nie jemanden vertreten hatte, der des Mordes angeklagt war. Ich hatte so große Angst, dass ich dem Hin und Her zwischen Richterin und Anwältin kaum folgen konnte, doch ich hörte, wie die Richterin sagte, sie habe es noch nie erlebt, dass so viele Freunde eines Angeklagten erschienen seien. Beth Osiecki erklärte der Richterin, dass ich auf Kaution zu entlassen sei, vor allem im Hinblick auf die sehr dünne Beweislage, die mich mit dem Mord an Arlene Fowler in Verbindung brachte.
Die Richterin wandte sich an den Bezirksstaatsanwalt Eddie Cammack, der nie ins Merlotte’s kam, im Tabernakel der Baptisten zum Gottesdienst ging und Maine-Coon-Katzen züchtete. Eddie Cammack blickte so entsetzt drein, als wäre Richterin Rosoff von meiner Rechtsanwältin aufgefordert worden, Charles Manson aus dem Gefängnis zu entlassen.
»Euer Ehren, Miss Stackhouse wird des Mordes an einer Frau beschuldigt, die viele Jahre lang ihre Freundin war, an einer Frau, die Mutter war und …« Sehr viel mehr Gutes konnte Eddie Cammack über Arlene nicht anführen. »Detective Beck sagt, Miss Stackhouse habe handfesteGründe gehabt, Arlene Fowlers Tod zu wünschen, und Fowler wurde mit Miss Stackhouses Halstuch um den Hals gefunden, hinter Miss Stackhouses Arbeitsplatz. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass sie nicht auf Kaution entlassen werden sollte.« Ich fragte mich, wo Alcee Beck war. Dann entdeckte ich ihn. Er starrte die Richterin so finster an, als hätte jemand vorgeschlagen, draußen vor dem Gerichtsgebäude seine Ehefrau Barbara auspeitschen zu lassen. Die Richterin warf Alcee Beck einen kurzen Blick zu und verbannte ihn gleich wieder aus ihren Gedanken.
»Ist bewiesen, dass das Halstuch Miss Stackhouse gehört?«, fragte Richterin Rosoff.
»Sie gibt zu, dass das Halstuch aussieht wie eins, das sie mal hatte.«
»Niemand hat Miss Stackhouse das Halstuch in letzter Zeit tragen sehen?«
»Wir haben niemanden gefunden, aber …«
»Niemand sah Miss Stackhouse mit dem Opfer um die Zeit des Mordes herum. Es gibt also keine zwingenden Beweise. Und soweit ich weiß, hat Miss Stackhouse eine Zeugin, die ihren Verbleib in der Nacht des Mordes bestätigt?«
»Ja, aber …«
»Dann wird Kaution gewährt. In Höhe von dreißigtausend Dollar.«
Oh, wow! Dank der Erbschaft von Claudine hatte ich so viel Geld. Aber … da war immer noch diese seltsame Sache mit der eingefrorenen Auszahlung. Mist. So rasch wie ich in Gedanken dieses Auf und Ab durchlief, sagte die Richterin: »Mr Khan, Sie leisten die Kautionszahlung in diesem Fall?«
Mustapha Khan stand auf. Irgendwie schien es Mustapha zu widerstreben, sich in einem Gerichtssaal aufzuhalten(er hatte selbst ein paar ernsthafte Konflikte mit dem Gesetz gehabt), denn er war in voller »Blade«-Montur erschienen: schwarze Lederweste und Lederhose (wie hielt er das bei der Hitze bloß aus?), schwarzes T-Shirt, dunkle Sonnenbrille, kahl rasierter Schädel. Alles, was noch fehlte, waren ein Schwert, verschiedene Schusswaffen und blitzende Messer, und weil ich ihn kannte, wusste ich, dass diese nicht weit weg waren.
»Mein Boss tut es. Ich bin hier, um seine Interessen zu vertreten, da er Vampir ist und tagsüber nicht kommen kann.« Mustapha klang gelangweilt.
»Meine Güte«, rief Richterin Rosoff leicht
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