Vampirmelodie
amüsiert. »Das erlebe ich auch zum ersten Mal. Nun gut, Ihre Kaution wurde auf dreißigtausend Dollar festgesetzt, Miss Stackhouse. Da Sie hier Familie, ein Zuhause und einen Job haben und Sie in Ihrem Leben noch nie woanders gewohnt haben, schätze ich Ihr Fluchtrisiko als niedrig ein. Sie scheinen gut in der Gemeinde verankert zu sein.« Sie warf einen Blick auf die Unterlagen vor sich und nickte. Für Richterin Rosoff war alles hieb- und stichfest. »Sie werden bis zu Ihrem Prozess auf Kaution entlassen. Jessie, bringen Sie Miss Stackhouse zurück ins Gefängnis und erledigen Sie die Formalitäten.«
Ich musste natürlich noch warten, bis alle anderen, einschließlich der männlichen Gefangenen, vor die Richterin getreten waren. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen und weggelaufen von der Bank, auf der ich mit den anderen Häftlingen saß – doch alles, was ich tun konnte, war, mich davon abzuhalten, Alcee Beck die Zunge rauszustrecken, der aussah, als stünde er kurz vorm Herzinfarkt.
Andy Bellefleur war inzwischen auch gekommen und hatte sich neben seinen Cousin Terry gestellt. Terry flüsterte ihm etwas ins Ohr, und ich wusste, dass er Andy vonmeiner Kaution erzählte. Andy wirkte erleichtert. Terry knuffte Andy in den Arm, aber nicht auf so eine »Hey, Kumpel«-Art. »Hab ich’s nicht gesagt, Arschloch«, sagte er vernehmlich.
»Lag nicht an mir «, zischte Andy etwas zu laut. Richterin Rosoff sah gequält auf.
»Bellefleurs, vergessen Sie nicht, wo wir uns befinden«, mahnte sie, und beide standen absurderweise stramm. Ein Lächeln umspielte die Mundwinkel der Richterin.
Als endlich alle Häftlinge angehört worden waren, nickte Richterin Rosoff, und Jessie Schneider führte uns zusammen mit Kenya wieder hinaus zum Transportbus. Eine Sekunde später schon wurden auch die männlichen Häftlinge in ihren Transporter geladen. Und schließlich waren wir auf dem Weg zurück ins Gefängnis.
Eine Stunde später trug ich wieder meine eigene Kleidung und trat als freie Frau hinaus in den Sonnenschein. Mein Bruder wartete auf mich. »Ich hätt ja nie gedacht, dass ich mich mal dafür revanchieren kann, dass du zu mir gehalten hast, als ich im Gefängnis saß«, sagte er, und ich zuckte zusammen. Ich selbst hätte mir auch nie vorstellen können, dass so etwas passieren würde. »Aber hier bin ich und hol dich aus dem Knast ab. Wie fandst du die Klos denn so?«
»Oh, ich denk schon dran, mir zu Hause solche einbauen zu lassen, um mich immer an die schöne Zeit zu erinnern.« Da er mein Bruder war, rieb er es mir noch ein paar Mal hin. Mein Spitzname lautete jetzt »Knasti«, und mein Profilbild bei Facebook hatte Gitterstäbe. Und so weiter und so fort.
»Michele?«, fragte ich, als Jason die witzigen Kommentare ausgingen. Da wir unser ganzes Leben miteinander verbracht hatten, verstand er auch ohne vollständigen Satz, was ich meinte.
»Sie konnte nicht frei kriegen«, sagte er und sah mir in die Augen, damit ich wusste, dass er nicht log. Als ob ich das nicht durchs Lesen seiner Gedanken herausbekommen hätte. »Sie wär gern gekommen, aber ihr Boss wollte sie nicht gehen lassen.«
Ich nickte, bereit zu glauben, dass Michele mich nicht für schuldig hielt.
»Als wir das letzte Mal über Eric geredet haben, hattet ihr grad Krach«, sagte Jason. »Aber er muss ja echt noch was für dich übrighaben, wenn er so ’ne Kaution für dich hinlegt. Das ist ein Riesenhaufen Geld.«
»Ich bin selbst überrascht«, meinte ich. Was eine große Untertreibung war. Aus Erfahrung wusste ich, dass Eric es mir immer zeigte, wenn er wütend auf mich war. Als er mal fand, dass ich mich während eines Gemetzels zu zimperlich angestellt hatte beim Töten von Feinden, hatte er mich gebissen, ohne sich darum zu kümmern, mir den Schmerz zu nehmen. Ich hatte es geschehen lassen, ohne einen Aufstand zu machen – ein Fehler meinerseits. Doch ich hatte es nicht vergessen. Nach unserer schrecklichen Konfrontation in der Nacht vor meiner Verhaftung hatte ich diese Großzügigkeit von Eric nicht erwartet. Und eine sentimentale Anwandlung seinerseits passte nicht zu dem, was ich von Eric wusste. Ich hätte Mustapha Khan definitiv gern einige Fragen gestellt, doch er war nirgends zu sehen. Genauso wenig wie Sam übrigens, was mich irgendwie noch mehr erstaunte.
»Wohin willst du, Schwesterherz?« Jason versuchte so zu tun, als hätte er es nicht eilig, doch das stimmte nicht. Er musste zurück zur Arbeit, denn er hatte einfach
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