Vampirmelodie
angelegt.
»Wann kann ich wieder nach Hause, Jessie?«, fragte Jane. »Hey, Sie wissen doch, dass Sookie Arlene nichts angetan hat. Ich hab Arlene mit zwei Männern gesehen.«
»Aber klar doch. Wann haben Sie sich denn daran erinnert? Als Sookie es Ihnen erzählt hat?« Jessie, eine große dicke Frau Mitte vierzig, schien nichts gegen uns beide zu haben. Sie war nur so sehr daran gewöhnt, angelogen zu werden, dass sie einfach gar nichts mehr glaubte von dem, was ein Insasse sagte, und auch nur sehr wenig von dem, was andere ihr erzählten.
»Ohhh, Jessie, jetzt seien Sie doch nicht so fies. Ich hab Arlene gesehen. Die Männer hab ich nicht gekannt. Sie müssen Sookie gehen lassen. Und mich auch.«
»Ich werde Andy sagen, dass Sie sich an etwas erinnert haben«, sagte Jessie. Aber ich konnte sehen, dass sie Janes Worten keine Bedeutung beimaß.
Wir gingen nach draußen und stiegen direkt in einen Transportbus des Landkreises ein. Jessie hatte noch zwei weitere Häftlinge im Schlepptau: Ginjer Hart (Mel Harts Exehefrau), eine Werpantherin, die die Angewohnheit besaß, mit gefälschten Schecks zu bezahlen, und Diane Porchia, eine Versicherungsvertreterin. Ach ja, ich hatte gehört, dass Diane wegen Versicherungsbetrug abgeholt worden war (was besser klang als »verhaftet«), aber ich hatte ihren Fall irgendwie aus den Augen verloren. Die Frauen wurden getrennt von den Männern transportiert, und Jessie fuhr uns, begleitet von Kenya, hinüber zum Gerichtsgebäude. Ich sah nicht einmal aus dem Fenster,so peinlich war es mir, dass man mich in diesem Transportbus sitzen sehen könnte.
Schweigen breitete sich aus, als wir den Gerichtssaal betraten. Ich sah nicht zu den Zuschauerreihen hinüber, doch als die Rechtsanwältin Beth Osiecki winkte, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weinte ich beinahe vor Erleichterung. Sie saß vorne in der ersten Reihe. Und als ich sie erst bemerkt hatte, sah ich über ihre Schulter hinweg noch ein weiteres vertrautes Gesicht.
Tara saß hinter den für die Rechtsanwälte reservierten Plätzen. JB begleitete sie. Und die Babys saßen in zwei Kinderstühlen zwischen ihnen.
In der Reihe dahinter saß Alcide Herveaux, der Leitwolf des Reißzahn-Rudels aus Shreveport und Eigentümer der Baufirma Herveaux & Son. Neben ihm sah ich meinen Bruder Jason und seinen Rudelanführer Calvin Norris. Jasons Freund und Trauzeuge Hoyt Fortenberry saß ganz in der Nähe. Chessie Johnson, die Arlenes Kinder zu sich genommen hatte, sprach flüsternd mit Kennedy Keyes und deren Freund Danny Prideaux, der nicht nur im Baumarkt arbeitete, sondern auch Bill Comptons Mann für tagsüber war. Und direkt neben Danny hockte mit finsterer Miene Mustapha Khan, Erics Mann für tagsüber, und Mustaphas Freund Warren, der mir ein schmales Lächeln zuwarf. Terry Bellefleur stand hinten an der Wand, unbehaglich von einem Fuß auf den anderen tretend, mit seiner Ehefrau Jimmie an der Seite. Und dann kam Maxine Fortenberry herein, mit donnernden Schritten und einer Miene so wütend wie Gewittergrollen, zusammen mit einer Freundin meiner Großmutter, Everlee Mason. Maxine trug ihr rechtschaffenstes Gesicht zur Schau, und es war überdeutlich, dass sie es noch nie im Leben nötig gehabt hatte, in einem Gerichtssaal zu erscheinen,doch heute, zum Donnerwetter noch mal!, da musste sie es tun.
Einen Augenblick lang war ich einfach nur überwältigt. Warum waren all diese Leute hier? Was brachte sie in den Gerichtssaal, ausgerechnet an dem Tag, an dem ich meine Anhörung hatte? Es schien einer der unglaublichsten Zufälle zu sein.
Doch dann fing ich die Gedanken in ihren Köpfen auf, und ich begriff, dass es mitnichten ein Zufall war. Sie waren alle meinetwegen hier.
Den Blick plötzlich tränenverschleiert, folgte ich Ginjer Hart zur Bank der Angeklagten. Ich sah in dem Gefängnis-Orange ja schon fürchterlich aus, doch Ginjer tat die Farbe auch keinen Gefallen. Ginjers leuchtend rotes Haar war ein echter Schlag ins Gesicht des neonfarbenen Ensembles. Diane Porchia mit ihren neutraleren Tönen ging es da besser.
Doch eigentlich war es mir ganz egal, wie wir in unserer Gefängniskluft aussahen. Bloß nicht über den Augenblick nachdenken, sagte ich mir. Ich war so gerührt, dass meine Freunde gekommen waren, so entsetzt, dass sie mich in Handschellen sehen mussten, so voll Hoffnung, dass ich herauskommen würde … und so voll Angst, dass es nicht klappen könnte.
Ginjer Hart musste bis zum Prozess im Gefängnis
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