Vampirmelodie
seine Mittagspause verlängert, um ins Gericht zu kommen.
»Nach Hause«, sagte ich nach kurzem Nachdenken. »Ich muss duschen, mir was Frisches anziehen und dann … zur Arbeit, denke ich. Das heißt, wenn Sam michdort haben will. Ich bin jetzt vermutlich keine allzu tolle Werbung mehr fürs Merlotte’s.«
»Soll das ’n Witz sein? Er ist total durchgedreht, als er hörte, dass du verhaftet wurdest«, erzählte Jason, so als hätte ich wissen müssen, was passiert war, während ich im Gefängnis saß. Tja, manchmal warf Jason meine Fähigkeiten einfach mit dem durcheinander, was unter »hellseherisch« oder »allwissend« lief.
»Ehrlich?«
»Ja, er ist am Sonntag auf die Polizeiwache marschiert und hat Andy und Alcee Beck zusammengeschrien. Dann hat er etwa ’ne Million Mal im Gefängnis angerufen, um zu fragen, wie’s dir geht. Und er hat die Richterin gefragt, wer der beste Anwalt für Strafsachen im Landkreis ist. Übrigens, Holly ist für dich eingesprungen, als du krank warst und auch heute Morgen, um ’n bisschen Extrageld für die Hochzeit zu verdienen. Aber sie sagt, mach dir bloß keine Sorgen! Sie will nicht wieder regulär anfangen.«
Als wir die Hummingbird Road erreicht hatten, dachte ich: Ich bin wirklich wieder frei. Ich wusste noch nicht, ob ich mich je von meiner Demütigung erholen würde, aber vermutlich würde ich wohl eine Lektion gelernt haben, die Gott mich lehren wollte, wenn ich erst über das beklemmende Gefühl dieser Gefängniserfahrung hinweg war.
Einen Moment lang dachte ich an unseren Herrgott, wie er durch die Straßen geschleift und mit Unrat beworfen wurde und danach in aller Öffentlichkeit seine Anhörung vor dem Gericht erdulden musste. Und schließlich gekreuzigt wurde.
Nicht dass ich mich mit Jesus vergleichen will, sagte ich mir hastig, aber irgendwie hatte ich das doch andersherum durchgemacht, stimmt’s? Fast gekreuzigt, dann verhaftet. Wir beide hatten etwas gemeinsam, Jesus und ich! Dochden Gedanken verbannte ich ganz schnell wieder aus meinem Kopf, nicht nur weil es eine unerhörte Übertreibung war, sondern vermutlich sogar Blasphemie. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, was ich mit meiner neuen Freiheit anfangen wollte.
Zuerst auf jeden Fall mal eine Dusche. Ich wollte den Gefängnisgeruch abspülen, und außerdem hatte ich mich seit Samstagmorgen nicht mehr ordentlich gewaschen. Wenn ich nach der gerichtlichen Anhörung wieder in meine Zelle geführt worden wäre, hätte ich mit den anderen weiblichen Insassen duschen dürfen. Wie verlockend.
Jason hatte geschwiegen auf der Fahrt zu mir nach Hause, was aber nicht hieß, dass auch in seinen Gedanken nichts los war. Er war froh, dass Michele meine Verhaftung locker nahm, weil es natürlich unangenehm geworden wäre, wenn sie seine Schwester für schuldig gehalten hätte, vielleicht wäre sogar die Hochzeit verschoben worden. Jason wollte wirklich heiraten.
»Sag Michele, dass sie sich jederzeit das Kleid ansehen kommen kann, das mich zur Brautjungfer adeln wird«, sagte ich, als Jason hinter meinem Haus parkte. Ich hatte meine Handtasche wiederbekommen bei der Entlassung, hatte also meinen Schlüssel dabei.
Jason sah mich verständnislos an.
»Das Kleid, das ich für eure Hochzeit gekauft habe. Ich ruf sie später an.«
Jason war daran gewöhnt, dass ich in seine Gedanken hineinsah. »Okay, Sook«, erwiderte er. »Erhol dich heut erst mal. Ich hab nie geglaubt, dass du es warst. Aber irgendwie hat Arlene es geradezu rausgefordert.«
»Danke, Jason.« Ich war wirklich gerührt, denn ich wusste natürlich, dass er es vollkommen ernst meinte.
»Ruf mich an, wenn du mich brauchst«, sagte er noch, und dann fuhr er zurück zur Arbeit. Ich war so froh, dieTür aufschließen zu können und wieder in meinem eigenen Haus zu sein, dass ich beinahe zu weinen anfing. Und wenn man mit einer verkaterten Jane Bodehouse zusammengepfercht in einer Gefängniszelle gehockt hatte, war es eine Wohltat, allein zu sein. Ich warf einen Blick auf den Anrufbeantworter, der wild blinkte, und es warteten sicher auch so einige E-Mails auf mich. Doch zuerst kam die Dusche.
Während ich mir das Haar mit einem Handtuch trocknete, sah ich aus dem Fenster auf die schimmernde Landschaft hinaus. Alles sah wieder staubig aus, doch dank des Regens kürzlich würde es noch ein paar Tage dauern, bis ich wieder gießen musste. Ich freute mich schon richtig darauf, in den Garten hinauszukommen, denn nach dem Gefängnis wirkte er
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