Vampirnacht
Palast.
Opiumduft trieb aus vielen der Gebäude, an denen wir vorbeikamen, und Camille schnappte plötzlich nach Luft, blieb stehen und starrte einen der Nachtclubs an.
»Das Collequia.« Sie drehte sich zu Trillian um, der ihr einen Arm um die Taille schlang.
Ich lehnte mich an die Mauer der Opiumhöhle. Der Laden lief also noch, und wahrscheinlich gehörte er nach wie vor Vaters Freund Jahn.
»Kaum zu glauben, dass dreizehn Jahre vergangen sind, seit wir uns da drin zum ersten Mal gesehen haben.« Trillian küsste sie auf den Mund. »Möchtest du reingehen?«
Sie starrte einen Moment lang die Tür an, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Zu viel hat sich inzwischen verändert. Ich werde nie den Moment vergessen, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, aber das hatte mit dem Club nichts zu tun. Sondern damit, dass du … der umwerfendste Mann warst, den ich je gesehen hatte. Und weil du mir zu Hilfe gekommen bist, als ich dich brauchte. Es war uns bestimmt, zusammen zu sein. Du bist mein Alpha.«
Wortlos führte er sie von der Tür weg, und sie gingen weiter die Straße entlang. Wir folgten ihnen.
Chase holte zu mir auf. »Hier haben sie …?«
»Sich kennengelernt? Ja. Camille hatte einen Auftrag. Diese Stadt enthält unsere Vergangenheit, Chase. Sie hütet unsere Geheimnisse und Träume. Unsere Kindheit und unsere Erinnerungen.«
»Wo warst du, als … ich meine … Ich sollte dich wahrscheinlich nicht danach fragen, aber …« Er stammelte herum, aber ich wusste, was er meinte.
»Es gibt eine Höhle nicht weit außerhalb der Stadt. Dort hatte Dredge sein Nest. In Y’Elestrial darf ein Vampirnest nicht mehr als dreizehn Mitglieder haben, dann müssen sie sich aufteilen. Aber Dredge hat diesem Gesetz getrotzt. Er hat versucht, einen Vampirischen Hof aufzubauen – was innerhalb des Stadtstaats ebenfalls gegen das Gesetz verstößt. Da die Höhle auf dem Staatsgebiet von Y’Elestrial liegt, hat er also diverse Gesetze gebrochen. Und ich sollte ihn ausspionieren, damit wir sein Nest ausheben konnten.«
»Warst du je wieder dort?« Chases Frage blieb in der Luft hängen, und wenn ich noch atmen würde, hätte mir jetzt der Atem gestockt. Stattdessen blieb ich stocksteif stehen. Mein Gesichtsausdruck muss entweder erschrocken oder erschreckend gewesen sein, denn er ruderte hastig zurück. »Entschuldige – ich wollte dich damit nicht …«
Ich wollte ihm keine Angst machen, also zwang ich mich zu sprechen. »Nein, ich war nie wieder dort.« Eine Woge des Entsetzens packte mich bei der Vorstellung, auch nur einen Fuß in diese Höhle zu setzen. Ich hatte geglaubt, ich sei über diese Angst hinweg. Dredge war tot. Ich hatte ihn gepfählt. Ich war frei. Dachte ich zumindest.
»Es tut mir so leid, Menolly. Ich hätte nicht fragen dürfen. Das war dämlich von mir.« Dass Chase so zerknirscht war, traf mich aus irgendeinem Grund fast noch mehr.
»Du kannst nichts dafür«, versicherte ich ihm hastig. Er hatte mir eine einfache Frage gestellt. Dass sie mich so hart getroffen hatte, machte mir gewaltige Sorgen.
Die anderen waren auf unser Gespräch aufmerksam geworden und stehen geblieben. Camille und Delilah rückten unauffällig schräg hinter Chase, und ein neuer Stich des Entsetzens durchfuhr mich, als mir klarwurde, dass sie fürchteten, ich könnte Chase angreifen.
Sprachlos und hilflos schüttelte ich den Kopf. »Alles okay. Es ist nur … ich … das hat mich noch nie jemand gefragt. Ich habe
nie
daran gedacht, noch einmal dorthin zu gehen. Niemals.«
Camille trat zurück. Delilah rückte langsamer ab. Doch Chase zuckte nicht mit der Wimper. Er blieb einfach stehen, sah mir sanft in die Augen und streckte die Hand aus. Ich starrte seine Finger an, in denen das warme Blut pulsierte, und auf einmal tobte ein Durst in mir, der mir gar nicht gefiel.
»Nimm meine Hand. Ich vertraue dir.« Seine Worte trafen mich wie ein Schlag, und mir wurde bewusst, dass er mir etwas anbot, das sehr wenige Sterbliche je wagen würden. Er schenkte mir sein Vertrauen. Darauf, dass ich ihm nichts tun würde, dass meine Raubtiernatur nicht die Oberhand gewinnen würde.
Ich schluckte gegen meinen Durst an, ergriff vorsichtig seine Hand und verschränkte die Finger mit seinen. Ich berührte nicht gern andere und wurde auch nicht gern berührt, mit wenigen Ausnahmen. Aber das hier war wichtig. Er drückte meine Hand, und ich erwiderte den Druck, wenn auch sehr vorsichtig. Mit einer winzigen Bewegung hätte ich
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