Vampirnacht
von ihr mehr erwartet als von Delilah und mir, und sie hatte sich oft über seine Ansprüche geärgert. Sie war nicht für die Mutterrolle geschaffen, hatte sich aber alle Mühe gegeben. Für uns war sie zum Fels in der Brandung geworden, doch auf lange Sicht hatte ihr das nicht gutgetan.
Delilah und ich hatten eher die Freiheit gehabt, auch einmal Fehler zu machen, unsere eigenen Wege zu gehen. Das lag daran, dass er Camille von uns allen am meisten geliebt hatte, aber diese Liebe hatte einen Preis, den ich niemals würde bezahlen wollen.
Während wir durch die Straßen rollten, starrte ich hinaus in die Nacht. Wir gingen nach Hause. Nach Y’Elestrial. In die Stadt, in der wir zur Welt gekommen und aufgewachsen waren. Die Stadt, von der ich mich schon an dem Tag losgesagt hatte, an dem wir erdseits gezogen waren.
Eine Reise durch die Portale ist wie die wildeste Achterbahnfahrt aller Zeiten. Wenn man sich Achterbahn mit Bungee-Einlage, Fallschirmsprung und dazu noch ein paar halluzinogenen Drogen vorstellt, kommt man dem Gefühl recht nahe. Man wird an einem Ort auseinandergerissen und irgendwo anders wieder zusammengeworfen. Und man kann sich an jede einzelne Sekunde erinnern, die man als körperloser Schimmer zwischen den Welten verbracht hat.
Als wir Y’Elestrial erreichten, erwarteten wir, von der Garde Des’Estar abgeholt zu werden – der offiziellen Leibwache von Hof und Krone. Doch wir begegneten nur ein paar Pennern, die versuchten, den Portalwachen eine Gratisreise abzuschwatzen. Das funktionierte nicht, bis auf eine betrunkene Schlampe, die sich den Rock hochgezogen hatte und es mit den Wachen trieb, aktuell mit zweien oder dreien auf einmal. Wir starrten sie einen Moment lang an, wandten uns dann kopfschüttelnd ab und traten auf die Straße hinaus.
Tagsüber war Y’Elestrial wunderschön, eine geschäftige Stadt, erfüllt vom Lärm der Straßenhändler, Märkte und luxuriösen Ladenstraßen, die Besucher aus hundert Meilen Entfernung anzogen. Sie war wohl eine der schönsten Städte der Anderwelt – schimmernde Kuppeln und schlanke Türmchen prägten das Stadtbild, marmorne Mauern umgaben die abgeschotteten, bewachten Wohnviertel der Oberschicht, in denen der Adel und die Günstlinge des Hofs lebten, die nicht beliebt genug waren, um im Palast selbst einquartiert zu sein.
Aber bei Nacht … bei Nacht zeigte Y’Elestrial ein dunkleres Gesicht. Gefährliche, schillernde Reize verbreiteten sich in den Straßen, der süßliche Duft aus den Opiumhöhlen und die ausgelassene Musik aus den Bordellen und Bars. In den Schatten drückten sich Diebe und Schläger herum, und Meuchler, Sklavenhändler und Glücksspieler waren stets auf der Suche nach leichter Beute.
Ich blickte mich nach einer Kutsche um, doch es war keine zu sehen. »Vater hat uns also keine Eskorte geschickt. Das war wohl klar. Wenn er uns sehen will, kann er verdammt noch mal für sicheren Transport sorgen. Es sind gut zwei Meilen – das ist zu schaffen, aber ich hätte erwartet, dass er bessere Manieren beweist. Immerhin hat er nach uns geschickt.«
Delilah blickte sich um. »Das gefällt mir nicht. Warum ist niemand hier?«
Camille seufzte genervt. »Verdammt. Wir müssen hier weg. In dieser Gegend gibt es Banden, die es sogar mit uns aufnehmen könnten.« Sie warf Roz einen Blick zu und lächelte. »Du hast doch dein Arsenal dabei, oder nicht?«
Grinsend riss er exhibitionistenmäßig seinen Staubmantel auf. Waffen aus Metall und Holz und diverse magische Bomben glänzten zwischen den Falten des Futters, trübe beleuchtet von den Blickfängern, die in den Straßen schwebten. »Ich habe alles, was du willst, Babe.«
Trillian schnaubte. »Du hast Glück, dass ich nicht Smoky bin.«
Roz konterte mit einem höhnischen Kichern. »Sooft ich selbstverständlich davon träume, du zu sein – was Camille angeht, würde ich nicht für eine Million Dollar mit dir tauschen wollen. Eine Frau teilen, kein Problem. Eine Frau mit einem testosterongesteuerten Drachen teilen, der eine Zündtemperatur von null Grad hat – nein danke. Ich habe dieses Temperament schon zu spüren bekommen.«
»Wenn ihr mit diesem überaus spannenden Thema fertig seid, schlage ich vor, wir machen uns endlich auf den Weg.« Mit einem Schnauben schob Camille sich an den zwei Männern vorbei. Ich ging neben ihr los, Delilah an ihrer anderen Seite. Die Jungs reihten sich hinter uns ein, und so gingen wir die gepflasterte Straße entlang in Richtung
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