Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vampirnacht

Vampirnacht

Titel: Vampirnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yasmine Galenorn
Vom Netzwerk:
nicht miteinander, und wenn sie sich vermischten, konnte das zu einer hässlichen Implosion, Explosion oder Sonst-was-plosion führen. Delilah mochte Leichenzungen gar nicht. Also würde ich die Sache in die Hand nehmen müssen.
    Ich trat vor die verhüllte Gestalt, die etwa so groß war wie ich. »Willkommen, Stimme der Schleier.«
    Das war die respektvolle Anrede. Ganz anders hießen sie in einem Kinderreim, den auch wir gesungen hatten, als wir klein waren – so ähnlich wie der, mit dem Menschenkinder die Angst vor dem Schwarzen Mann zu besiegen versuchten:
     
    Da kommt der tief verhüllte Graus.
    Lippen an Lippen, Mund an Mund.
    Saug ein den Geist, spei Worte aus
    Tu der Toten Geheimnisse kund.
     
    Allerdings waren Butzemänner so real wie Leichenzungen und nicht halb so beängstigend. Über die Stimmen der Schleier wusste man so gut wie gar nichts, und es gab immer wieder Gerüchte, einige Leichenzungen seien aus ihrer streng regulierten Gemeinschaft ausgebrochen. Angeblich streiften diese Abtrünnigen durch die Steppen und Wüsten der Anderwelt und saugten Lebenden die Seele aus. Ob da etwas Wahres dran war, wusste ich nicht, aber ich wollte es auch nicht unbedingt herausfinden.
    Die Leichenzunge nickte. »Ist der Leichnam berührt worden?«
    »Ich habe sie kurz untersucht, um die Todesursache festzustellen. Deshalb habe ich Euch hinzugezogen. Ich kann nicht erkennen, woran sie gestorben sind. Aber ich habe sie dabei kaum berührt.«
    »Zurücktreten.« Der knappe Befehl enthielt die selbstverständliche Erwartung, dass ihm sofort Folge geleistet wurde.
    Wir alle rückten von den toten Elfen ab. Ich freute mich nicht gerade darauf, Königin Asteria zu berichten, dass zwei ihrer Leute auf unserem Grundstück gestorben waren, aber ich wollte ihr wenigstens erklären können, woran. Beide waren edle, mutige Männer gewesen, ehrenhafte Krieger, die jedem normalen Feind einen heftigen Kampf geliefert hätten, um uns zu verteidigen. Deshalb hatte ich das Gefühl, dass ihr Tod mit Normalität nicht viel zu tun gehabt hatte.
    Die Leichenzunge kniete sich neben den ersten Leichnam, beugte sich über ihn und presste ihre Lippen auf die des Elfen. Es war unheimlich, zuzuschauen, wie sie einen kalten Toten küsste, aber – dass musste ich gerade sagen. Nerissa küsste mich, und streng genommen war ich ebenfalls tot. Na ja,
untot.
Vampire gehörten beiden Welten an – wir waren tatsächlich wandelnde Tote, aber zumindest hatten wir noch ein Bewusstsein, Emotionen und unsere Seele.
    Nach ein paar Augenblicken hob die Leichenzunge den Kopf, und wieder sahen wir von ihrem Gesicht nur stählern schimmernde Augen, doch da war noch etwas – ein Nimbus umgab sie wie wirbelnder Nebel. Es war der unsterbliche Geist des Elfen, den sie bei ihrem Kuss in sich eingesogen hatte. Sie richtete sich auf und wandte sich mir zu.
    Ich biss mir auf die Lippe und überlegte mir die erste Frage gut. Man konnte nie wissen, ob der Geist eine, zwei oder fünf Fragen beantworten würde, ehe er davonzog.
    »Was hat dich getötet?«
    »Der Seelensauger.« Die Stimme, die aus dem Mund der Leichenzunge drang, war ein rasselnder Atemzug, wie trockenes Laub im Wind.
    Ich runzelte die Stirn.
Seelensauger.
Das half uns nicht viel weiter. Es gab eine Menge Geschöpfe, die den Lebenden die Seele aussaugen konnten.
    »Wie hat er ausgesehen?«
    »Ein Blitz in der Nacht. Eine Flamme loderte auf. Ich sah keinen Körper, nur eine geisterhafte Erscheinung.«
    Ich wandte mich den anderen zu. »Mehr Fragen, schnell. Was könnte uns noch helfen?«
    Shade trat vor. »Geist, sag uns, wie wurdest du angegriffen?«
    Die Leichenzunge holte scharf Luft, und wieder rasselte die Stimme des Elfen aus ihrer Kehle. »Er hat die Magie in meiner Seele aufgezehrt.« Dann war ein kurzes Brausen zu hören, und der Leichnam des Elfen zuckte einmal. Die Verbindung war abgebrochen, die Seele hatte sich aufgemacht ins Land der Silbernen Wasserfälle, um sich seinen Ahnen anzuschließen.
    Während Camille unser Gebet für die Toten murmelte, schüttelte ich den Kopf. Wir waren nicht viel schlauer als vorher – irgendein geisterhaftes Wesen hatte die Elfen angegriffen und getötet, ehe sie sich hatten verteidigen können.
    Die Leichenzunge kniete neben dem zweiten Leichnam nieder, schüttelte jedoch den Kopf. »Dieser ist schon dahingegangen.«
    »Dann nehmt Euch, was Euch zusteht.«
    Die Leichenzunge schob das Hemd des Elfen hoch, für den sie gesprochen hatte, und zückte

Weitere Kostenlose Bücher