Vampirnacht
begonnen, das Haus zu renovieren, letzten Monat, glaube ich. Und heute Nachmittag ist wohl die Hölle ausgebrochen, und sie haben Chase angerufen, weil sie nicht wussten, was sie sonst tun sollten.«
Ich hatte das scheußliche Gefühl, schon zu wissen, worum es ging, aber ich musste trotzdem fragen. »Wo liegt dieses Anwesen?«
Camille nickte. »Du hast es erraten. Im Greenbelt Park District.«
»Scheiße, verdammte. Wo denn sonst?« Ich versetzte dem Bordstein einen Tritt und brach mir beinahe den großen Zeh. Das machte mir nichts aus – ein gebrochener Zeh wäre so schnell verheilt, dass ich kaum etwas davon gemerkt hätte. Aber ich hatte meinen neuen Stiefel zerschrammt, und das hatte mir gerade noch gefehlt. »Verflucht. Die sind nagelneu. Jetzt seht euch das an!«
Der Greenbelt Park District war das schlimmste Spukviertel von ganz Seattle. Irgendwie hatten die Geister dort das Regiment übernommen. Wir wussten nicht einmal, warum sie sich gerade dort versammelten, aber das taten sie, und zwar in Scharen.
Wir eilten über den Parkplatz, den Wade vor der Villa hatte anlegen lassen.
Ich zückte meinen Autoschlüssel. »Vielleicht sollten wir endlich mal der Frage nachgehen, warum es gerade in diesem Viertel so von Geistern wimmelt. Mein erster Gedanke wären die wilden Portale.«
»Das passt aber nicht zusammen. Die wilden Portale haben sich dort erst vor kurzem aufgetan, spuken soll es aber schon seit Jahrzehnten. Irgendetwas muss die Geister anlocken – Geisteraktivität schüren.« Morio hielt auf den Lexus zu. Roz und Delilah entschieden sich auch dafür, wieder bei Camille mitzufahren. »Wir schicken dir die Adresse per SMS .«
Camille hielt immer noch das Handy hoch und schloss mit der anderen ihren Lexus auf. »Schon passiert. Wir sehen uns dort, und fahr vorsichtig. Bei so starkem Regen werden die Straßen glatt sein.« Sie, Delilah, Morio und Roz fuhren los.
Ich folgte ihr. Als ich die Adresse in mein Navi eingab, stellte ich bestürzt fest, wie nah dieses Kloster – oder die Villa oder was auch immer – an dem unterirdischen Schlupfwinkel lag, in dem der Vampir-Serienmörder Charles sich damals eingenistet hatte. Ja, eindeutig der Greenbelt Park District.
Während ich die stillen Straßen entlangraste, dachte ich über das nach, was Morio gesagt hatte. Er hatte recht – wenn es in der Gegend schon so lange spukte, konnten eigentlich weder Schattenschwinge noch die unkontrollierten Portale etwas damit zu tun haben.
Manchmal kam es vor, dass eine Greueltat einen Ort für immer zeichnete. So eine Stelle wirkte sehr anziehend auf Geister und Gespenster. Wenn sich zum Beispiel eine Mordserie oder andere entsetzliche Verbrechen innerhalb eines begrenzten Gebiets ereigneten, konnten die Geister dem Land lange anhaften. Manchmal verzerrte und verdarb die Energie dieser Greueltaten auch das Land selbst. Ich verstand nicht ganz, wie das funktionierte – das war eher Camilles Spezialgebiet –, aber ich wusste, dass man an manchen Orten das Böse fühlen konnte. Meistens bedeutete das, dass sich dort etwas Schreckliches abgespielt hatte.
Der Greenbelt Park District hatte eine lange Geschichte. Die Gebäude strahlten etwas Verwittertes aus – alte Gemäuer, grau und vom Zahn der Zeit gezeichnet. Die Maurer und Steinmetze, die daran gearbeitet hatten, hatten keine
Wohnanlagen
gebaut – sondern ein Gebäude nach dem anderen, von Hand und nach den Vorstellungen der Reichen, die hier gewohnt hatten. Sogar die Gebäude, die verlassen oder aufgegeben worden waren, hatten eine geheimnisvolle Aura und strahlten eine stille, baufällige Eleganz aus.
Seattle war auch als die Smaragdene Stadt bekannt, wegen der vielen Bäume und Grünflächen. Der Greenbelt Park District machte seinem Namen ebenfalls alle Ehre. In den Wohngegenden ragten Tannen und Zedern hoch über den Straßen auf. Ladenfronten wechselten sich mit alten, halb verfallenen Mietshäusern ab. Es wohnten immer noch Leute hier, aber viele Ladenflächen standen leer, und auf den Straßen herrschte eine verlassene, ungute Atmosphäre.
Ich folgte Camille nach rechts auf die Foster Street. Die Straße war schmal, und ich musste in Schlangenlinien um die wenigen geparkten Autos herumfahren. Das waren alles ältere Modelle und ein bisschen schäbig, ganz so, als hätten ihre Besitzer nicht genug Geld, sie gut in Schuss zu halten. Die Bäume standen dicht gedrängt am Straßenrand, und ihre Äste hingen gefährlich nah an Stromleitungen,
Weitere Kostenlose Bücher