Vampirnacht
keine Möglichkeit und traute mich nicht, sie und Morio zu unterbrechen.
Doch dann wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich eilte zu Chase hinüber. Er spähte immer noch in diesen Wandschrank und versuchte, jemanden zu sich herauszulocken. Ich blickte über seine Schulter und sah den Umriss eines weiteren Kindes – ein kleiner Junge versteckte sich da drin. Auch er wirkte völlig verängstigt und war höchstens vier Jahre alt. Was ich jetzt tun musste, versetzte mir einen schmerzhaften Stich.
»Chase, du musst mitkommen – vielleicht kannst du etwas tun.« Ich packte ihn am Arm und zerrte ihn von dem Wandschrank weg. Der Geist wälzte sich auf Camille und Morio zu und ignorierte uns, als wir an ihm vorbeihuschten. Er bereitete irgendetwas Scheußliches vor, das konnte ich spüren, und ich wollte nicht an Camilles Stelle sein, wenn er loslegte.
»Was ist denn?« Chase blieb abrupt stehen, als er das kleine Mädchen entdeckte.
»O nein.«
»Er hat ihren Geist an seinen gefesselt. Kannst du irgendetwas tun?« Ich hatte keine Ahnung, wie ich überhaupt auf diese Idee kam, aber irgendetwas drängte mich dazu, es ihn versuchen zu lassen.
Chase fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und starrte das Mädchen an. »Vielleicht. Aber du musst dich bereithalten.«
»Wofür?«
»Auf mein Zeichen wirfst du dich zwischen den Geist und die Kleine. Bist du bereit, das zu riskieren? Es könnte tödlich sein.« Er blickte ängstlich drein, doch ich sah die Entschlossenheit in seinen Augen. Chase wurde richtig sauer, wenn jemand einem Kind etwas antat – ob der Übeltäter aus Fleisch und Blut war oder ein Geist.
Ich nickte. »Mache ich. Los.«
Chase streckte die Arme nach dem kleinen Mädchen aus. Ein schwaches Funkeln flackerte an seinen Händen auf, und das Mädchen wandte sich ihm zu und machte große Augen. Es streckte die Arme aus und öffnete den Mund. Ein schauerlicher Schrei gellte durch den Raum.
Verblüfft fuhr der Geist herum. Als er sah, was Chase tat, brüllte er vor Wut, dass der ganze Raum erbebte. Stifte, Werkzeug, der Keksteller und alles andere, was nicht niet- und nagelfest war, wirbelte durch die Luft.
Camille und Morio begannen einen dumpfen Sprechgesang und stapften vorwärts wie durch einen Orkan, einen kleinen Schritt nach dem anderen. Sie hielten die Handflächen vor sich ausgestreckt, und Energie knisterte vor ihnen in der Luft.
Ein schrilles Kreischen erschreckte mich. Ich stolperte, drehte mich um und sah Roz, der noch immer an der Wand hing, doch nun steckte ein Messer in seiner Schulter.
Ich rannte hinüber und schwebte zu ihm empor. Als ich den Griff packte – es war ein gewöhnliches Küchenmesser mit gezahnter Klinge – und kräftig zog, stieß er einen lauten Fluch aus. Ich steckte mir das Messer in den Gürtel, damit es nicht wieder zum Geschoss werden konnte. Dann versuchte ich ihn von der Wand zu lösen, doch es ging nicht. Blut schoss aus der Wunde in seiner Schulter. Sie tat sicher weh, war jedoch nicht direkt lebensbedrohlich. Doch falls noch irgendetwas durch die Luft fliegen sollte, könnte er als Dämon am Spieß enden.
Ich war hin- und hergerissen – Roz brauchte Schutz, doch der Geist ging jetzt auf Chase los, und ich musste abwägen, wo ich am dringendsten gebraucht wurde.
»Los, Chase braucht dich!« Roz konnte nicht einmal den Kopf bewegen. »Menolly, gegen das Ding hat er keine Chance!«
Ich sah mich rasch um. Es flogen immer noch Gegenstände herum, aber Roz hatte recht. Chase war noch schutzloser. Ich nickte, obwohl ich mir dringend wünschte, ich könnte an zwei Orten gleichzeitig sein, und flog zurück zu Chase.
Er und der Geist spielten Tauziehen mit dem kleinen Mädchen und zerrten sie zwischen sich hin und her. Sie weinte, doch es kam kein Laut über ihre Lippen. Ich landete gerade rechtzeitig neben Chase, um einen Stuhl auf ihn zufliegen zu sehen. Ich konnte ihn nicht abfangen – die Beine zeigten in unsere Richtung, und die Gefahr, davon gepfählt zu werden, war zu groß. Also warf ich mich mit einem Hechtsprung auf den Detective und riss ihn zu Boden.
Durch den Sturz ließ er das Mädchen los, und der Geist bäumte sich unter brüllendem Gelächter auf. Mit einem widerlichen Glitzern in den Augen grapschte er nach der Kleinen, doch in diesem Moment trafen Camille und Morio ihn mit einem magischen Blitz.
Geister, tanzt und windet euch,
Geister, plagt und schindet euch,
Durch Feuer und Eis und unsere Hand
Bist du in dieses Siegel
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