Vampirnacht
ragte es vor dem Himmel auf, grausam und unheilvoll. Das konnte ich schon auf den Fotos sehen.
»Wie kam es zu dem Brand?«
Carter ließ mich den Artikel überfliegen und schlug inzwischen das andere Album auf. Dann schob er es wieder von sich.
»Eine Gruppe Patienten überwältigte die Wärter. Sie brachten den Leiter um – den Sohn des Gründers – und massakrierten zahlreiche Mitpatienten. Manche konnten entkommen, aber so viele wurden ermordet. Die Insassen übernahmen die Kontrolle über die Anstalt. Von diesem Moment an sind die Berichte lückenhaft, aber offenbar war einer der schlimmsten Patienten ein Verbrecher namens Silas Johnson, der wegen Unzurechnungsfähigkeit nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, sondern dort weggesperrt worden war. Dieser Mann soll hinunter in den Heizungskeller gegangen sein. Niemand weiß genau, was er dort gemacht hat, aber der Heizkessel explodierte, eine Gasleitung platzte, und das ganze Gebäude flog in die Luft.«
Ich starrte auf die Fassade des Irrenhauses. Selbst die Fotos troffen vor Wut, Hass und Angst, und ich bedauerte eigentlich nicht, dass das Haus bis auf die Grundmauern zerstört worden war – nur die Menschen, die in diesem Inferno umgekommen waren, taten mir leid.
»Wie viele Tote?«
»Dreihundertsiebenundfünfzig Patienten, fünfundzwanzig Wärter und zwei Dutzend Krankenschwestern und Ärzte.« Carter beugte sich vor und starrte mich über den Schreibtisch hinweg an. »Es heißt, Silas habe über Stimmen geklagt, die ihm befohlen hätten, den anderen Patienten etwas anzutun. Er war dort, weil er seine Eltern, seine Frau und seine drei Kinder ermordet hatte. Er schwor vor Gericht, der Teufel habe ihn dazu getrieben, deshalb wurde er ins Irrenhaus gesperrt.«
»Ja, dem Teufel schiebt man gern die Schuld zu.«
»Und wir Dämonen haben deshalb einen schlechten Ruf. Hin und wieder findet man einen Dämon, der das Bewusstsein anderer durch diverse Tricks kontrollieren kann, aber wir sind keine Jedi-Meister, und wir laufen nicht herum und zwingen anderen unseren Willen auf. Jedenfalls normalerweise.« Seine Nasenflügel blähten sich.
»Aber ein Geist … ein Geist könnte jemanden in den Wahnsinn treiben, oder?« Ich blätterte in dem Ringbuch, in dem die Hinweise auf übernatürliche Aktivität im Greenbelt Asylum festgehalten waren. Immer wieder las ich von Patienten, die behaupteten, Stimmen zu hören, die ihnen befahlen, gegen ihren Willen irgendetwas zu tun.
»Möglicherweise, wenn die Person leicht zu beeinflussen ist.« Eine von Carters Katzen sprang auf den Schreibtisch, und er streichelte gedankenverloren ihr langes, flauschiges Fell.
»Ägäis-Katzen, richtig? Delilah und Camille haben mir von ihnen erzählt.«
»Ja, das sind Aegeans. Diese hier heißt Roxy. Die andere heißt Lara, und den Neuankömmling habe ich Schiwago genannt.« Er hielt inne, um die weiße Katze von seinem Schreibtisch auf den Boden zu setzen, und wandte sich dann wieder den Zeitungsausschnitten zu. »Ich glaube nicht, dass der Spuk in diesem Viertel hier seinen Ursprung hatte, obgleich das Irrenhaus sicher viel dazu beigetragen hat. Aber da muss noch mehr sein. Ich werde nachforschen und dir Bescheid geben.«
Mir kam diese Geschichte schon reichlich vor, aber ich widersprach ihm nicht.
»Hast du denn Zeit dafür? Ich falle dir ungern zur Last.« Ich mochte Carter wirklich, obwohl er mir manchmal Angst machte. Ich glaube, das ging uns allen so.
Er zuckte mit den Schultern. »Zeit? Was ist schon Zeit? Ich habe mehr Zeit als die meisten anderen auf der Welt, meine liebe Menolly. Also nutze ich sie lieber produktiv.«
Als ich aufstand, tat er mir plötzlich leid. Er schien einsam zu sein, aber ich wollte nichts sagen, wovon er sich noch schlechter fühlen oder – was wesentlich schlimmer wäre – auf die Idee kommen könnte, dass ich an ihm interessiert war. Er war zweifellos attraktiv und konnte es problemlos mit jedem Dämon aufnehmen, von einer Vampirin ganz zu schweigen. Vielleicht lag
da
das Problem. Wer eine Beziehung mit ihm einging, war von vornherein der verletzlichere Part.
»Wenn du … falls du mal bei uns in der Gegend bist … Wir machen immer reichlich zum Abendessen.« Ich wusste selbst nicht so genau, was ich da sagte, aber er lachte milde.
»Ach, Menolly, ich komme nicht viel herum – jedenfalls nicht mit modernen Verkehrsmitteln. Und ich schaue nie einfach
mal vorbei.
Was gesellschaftliche Gepflogenheiten angeht, bin ich ein
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