Vampirzorn
hatten, das wenige, das er jemals geliebt hatte, zu schänden und zu zerstören.
Seine Träume waren seit Langem nicht mehr so lebhaft wie ehedem, stets aufs Neue musste er sie sich in Erinnerung rufen, um sie wieder und wieder zu durchleben, damit sie ihre albtraumhafte Schärfe zurückgewannen. Denn diese Dinge wollte er nie vergessen. Sie waren seine einzige Zuflucht, das einzige Mittel, seinen Hass am Leben zu erhalten, während er in seinem Grab aus Harz den Schlaf der Untoten schlief.
Aus den Nebeln einer Vergangenheit, die ihm doch so nah erschien, tauchten Namen in seinem Gedächtnis auf: Giorgio, Ion und Lexandru Zirescu; die Ferenczys, Lagula und Rakhi. In einer anderen Welt, in grauer Vorzeit waren die Zirescus seine ärgsten Feinde gewesen, und die Ferenczys zählten zu den Alten Lords der Sternseite. Sie waren seit Langem tot, und Radu schwelgte in Erinnerungen daran, was er ihnen angetan hatte ... und in der Vorfreude darauf, wie er mit ihren Abkömmlingen und jedwedem Überlebenden umspringen würde, wenn er erst wieder auferstanden und in einer veränderten, sich immer weiter ändernden Welt zugange war. Denn der Hunde-Lord wusste, dass es solche Abkömmlinge geben musste ...
Wenn er wieder in der Welt umherstreifte, aye ... So wie einst mit seinem Rudel, seinen Welpen. Legenden, die so alt waren wie die Menschheit, hatten darin ihren Ursprung oder doch wenigstens Nahrung bekommen – der Mythos vom Vampir und vom Werwolf. Und Radu Lykan war beides – Wamphyri!
Im Traum kehrte er weiter und weiter zurück in die Vergangenheit ... bis in die Zeit, kurz nachdem er hier angekommen war ...
Auf der Sternseite hatte man ihn des Verrats für schuldig befunden. Zur Strafe ließ Shaitan der Ungeborene, selbst ernannter Oberster Rat aller Wamphyri, Radu und eine Handvoll von dessen Gefolgsleuten – ein, zwei Leutnante und ein paar Knechte – in das sogenannte Tor zu den Höllenlanden werfen, aus dem noch nie jemand zurückgekommen war.
Es war wie ein langer, langsamer Sturz in eine unheimliche, weiße Hölle gewesen, und eine ganze Zeit lang glaubten Radu und die anderen, dies sei nun ihr Schicksal – ewig abwärts (oder seit- oder aufwärts? ... Das Tor war ein äußerst merkwürdiger Ort!) zu schweben, bis der Hunger ihnen den Rest gab und sie vertrockneten und zu Mumien schrumpften. Doch so sollte es nicht sein.
Die eigentliche Hölle begann dort, wo das Tor sich zu dieser Welt hin öffnete, in einer von einem unterirdischen Fluss ausgewaschenen Kaverne. Im Gleißen des Tores sah man schmale Simse, kalt und von Nässe überzogen; der Fluss führte Hochwasser und rauschte schwarz und strudelnd durch das Bett, das er sich gegraben hatte. Wo er die Höhle verließ, rückten die Wände zu beiden Seiten immer enger zusammen, zwischen Wasseroberfläche und Höhlendecke blieb kaum eine Lücke.
Schwarzes, rauschendes Wasser – das Einzige, was die Wamphyri fürchteten! Und zwar keineswegs aus Aberglauben (denn im Widerspruch zu gewissen Mythen waren sie ebenso gute Schwimmer wie jede andere Kreatur auch); doch beraubt von Luft und Licht und immer wieder gegen Felswände geschleudert, von unergründlichen Tiefen zerquetscht – wie lange vermag ein Mensch oder selbst ein Vampir da zu überleben? Das Fleisch wird schwach, versagt und löst sich schließlich von den Knochen, die das Wasser irgendwann aufbricht und im Lauf der Zeit zu Kieseln rundet. Vielleicht bestand darin ja die Natur dieser Höllenlande.
Radu hatte die Wahl, aber was für eine: sich todesmutig in das rauschende Wasser zu stürzen oder in Sicherheit auf einem Sims oder in eine Spalte gezwängt auszuharren, bis er nicht mehr die Kraft hatte, sich zu rühren, und nach und nach in einen Tropfstein verwandelt wurde.
»Tut, was ihr für richtig haltet«, sagte er zu den anderen, die bei ihm waren. »Vielleicht stürzt sich dieser Fluss immer weiter und weiter den Berg hinab ... in diesem Fall heißt es Lebewohl, Radu! Aber irgendwo da draußen wartet das Licht des Mondes auf uns, und das will ich wieder in meinem Nacken spüren!« Damit sprang er von seinem Sims und tauchte in den Fluten unter.
Die übrigen Lords und ihre Gefolgsleute folgten ihm nach, desgleichen Radus Leutnante und ein paar Knechte; ein paar von ihnen kamen mit dem Leben davon und tauchten in Dakien in der Nähe einer römischen Handelsstation an der Donau wieder auf. Man schrieb das Jahr 371 n. Chr., und der Mond war voll. Von dieser Zeit an trug der Ort den Namen
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