Vampyr
trat neben den Sessel, tauchte ein Tuch ins Wasser und begann die Wunde an Daerons Stirn zu reinigen.
»Gefürchtet? Als ich sie das letzte Mal sah, war sie völlig aufgelöst. Doch das war nicht alles. Das Licht schien ihr Schmerzen zu bereiten und beim Anblick meiner Wunden schreckte sie zurück.« Deutlich erinnerte er sich an ihre Abscheu und ihr Entsetzen, als sie seine blutigen Handgelenke gesehen hatte. »Sie wirkte so schwach.«
Vater Ninian machte sich daran, eine Salbe aufzutragen. Es brannte. Daeron verzog das Gesicht. »Sie hat versucht mir etwas zu sagen«, fuhr er fort, »doch die Worte … Ich glaube, die Worte verursachten ihr ebenfalls großen Schmerz. Schließlich ist sie zusammengebrochen.«
Vater Ninian stellte den Salbentiegel zur Seite und griff nach einem Verband. Daeron hielt seine Hand fest. »Erspart mir das, Vater.«
Ninian legte das Leinen auf den Tisch zurück. »War sie verletzt?«
»Nein.«
»Seid Ihr sicher?«
Daeron dachte nach. Da war nichts. Außer … »Ich fand einen Verband an ihrem Fußgelenk, aber das war nichts Ernstes. Nur zwei kleine Wunden. Wie Dornenstiche.«
»Dornenstiche«, murmelte der Vater und trat einen Schritt zurück. Bedächtig wanderte er von einem Ende des Raums zum anderen, die Stirn nachdenklich gefurcht. Als er endlich stehen blieb, fragte er: »Wann hat sie das letzte Mal etwas gegessen?«
»Das war kein Hunger, der sie geschwächt hat. Sie hatte Schmerzen! Ich weiß nicht, was –«
»Beantwortet bitte meine Frage!«
Obwohl Daeron nicht wusste, worauf der Priester hinauswollte, ließ ihn die Eindringlichkeit in Vater Ninians Stimme antworten. »Ich kann mich nicht erinnern, dass sie etwas gegessen hätte, seit ich sie vor zwei Tagen fand. Aber ich war nicht die ganze Zeit bei ihr. Sie war bleich und wirkte sehr mitgenommen. Sie schien schreckliche Schmerzen gehabt zu haben.« Daeron ballte die Hände zu Fäusten. »Ich muss sie finden, Vater. Und ich muss ihr helfen.«
Wenn der Priester nichts für ihn tun konnte, musste er es allein schaffen. Es drängte ihn danach, aufzuspringen und aus dem Raum zu stürmen. In die Nacht hinaus, um seine Suche fortzusetzen. Doch was, wenn der Priester etwas wusste? Wenn er ihm helfen konnte? Daeron zwang sich zur Ruhe. Er würde Catherine finden. Doch erst musste er hören, was Vater Ninian zu sagen hatte.
Aber Vater Ninian sprach nicht weiter. Mit wachsender Anspannung beobachtete Daeron, wie der alte Mann hinter den Schreibtisch trat und sich in seinen Sessel sinken ließ. Die Ellbogen auf die Armlehnen gestützt blickte er ins Nichts. Der Raum erstarrte unter seinem Schweigen. Mit jedem Atemzug glaubte Daeron zu spüren, wie Catherine weiter von ihm fortrückte. Eine Weile zwang er sich, ruhig sitzen zu bleiben, doch die Stille kroch ihm zunehmend unter die Haut.
Schließlich ertrug er es nicht länger und sprang auf. »Wenn Ihr nichts für uns tun könnt, Vater, dann sagt es! Ich kann mir nicht erlauben weitere Zeit verstreichen zu lassen.« Er war schon an der Tür, da ließ ihn die Stimme des Priesters noch einmal innehalten.
»Kennt Ihr die Geschichte der Ushana?«
»Das ist nicht Euer Ernst!«, fuhr Daeron ihn an. »Ich bin geblieben, weil ich mir Hilfe von Euch erhoffte, und Ihr wollt mich mit einer alten Legende erschrecken!« Catherine brauchte ihn! Und er stand hier und ließ sich von den belanglosen Geschichten des alten Priesters aufhalten! »Bei Gott, Mann, Ihr verschwendet meine Zeit!« Er stieß die Tür auf.
»Habt Ihr Euch je gefragt, warum Asgaidh eine Kirche hat, deren Größe für einen Ort wie diesen ausgesprochen ungewöhnlich ist? Sind die Menschen hier nicht furchtsamer und gläubiger als andernorts? Warum finden sich am Tag der Ushana mehr Menschen in der Kirche ein als an jedem anderen hohen Feiertag?«
Daeron runzelte die Stirn. Noch immer schwelte der Zorn in ihm, dennoch wandte er sich zu dem alten Mann um. »Was soll das? Worauf wollt Ihr hinaus?«
Vater Ninians ernste Augen richteten sich auf Daeron. »Ich diene dem Herrn seit drei Jahrzehnten in dieser Kirche. Als ich hierher kam, wunderte ich mich über die Furcht, die die Menschen hier gefangen hält, und begann mich mit ihrem Ursprung zu beschäftigen.«
»Ushana.« Mit einem Mal hatte Daeron das Gefühl, dass Vater Ninian einen Zweck verfolgte. Der Priester wusste etwas und er war bereit sein Wissen zu teilen. Dennoch drängte es ihn zur Eile. »Das ist nicht der geeignete Zeitpunkt, Vater. Wenn ich sie gefunden
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