Van Helsing
Jahren hatte er zu viel gesehen, um dies zu leugnen. In dieser Zeit hatte er es studiert, bekämpft und besiegt.
Jinette sprach die Wahrheit, aber es gab Dinge, die er mit keinem Wort erwähnte und die er vielleicht auch nicht verstehen konnte: dass jeder Sieg, den Van Helsing davontrug, seinen Preis hatte. Ein Krieg wurde ausgetragen, und der Kardinal war der General, der nicht verstehen konnte, welch hohen Preis seine Fußsoldaten zahlten. »Für Sie sind diese Monster böse Wesen, die bezwungen werden müssen«, stellte Van Helsing fest, »aber ich bin derjenige, der dort steht, wenn sie sterben und wieder zu den Menschen werden, die sie einmal waren.«
Jinette schwieg einen Moment. Als er schließlich sprach, war sein Ton sanft. »Für Sie, mein guter Sohn, ist dies alles eine Prüfung des Glaubens. Deshalb haben Sie keine Ahnung, wer Sie sind oder woher Sie kommen.« Van Helsing musterte den Kardinal genauer und wartete auf etwas ... eine Antwort vielleicht. »Sagen wir, Sie haben Gott getroffen und er hat Ihnen einen Auftrag erteilt«, fuhr der Kardinal fort. »Sie hätten keine Angst, wenn Sie wüssten, dass Gott mit Ihnen ist. Aber da Ihre Erinnerung an die Begegnung mit Gott verloren ging, wird Ihr Glaube jeden Tag erneut auf die Probe gestellt.«
Nicht direkt eine Antwort – zumindest nicht die, die Van Helsing sich erhofft hatte. Wie viel wusste der Kardinal über seine Vergangenheit, seine Identität? Mehr als er heute sagen würde, so viel war sicher.
Aber der Kardinal hatte Recht: Sein Glaube wurde auf die Probe gestellt. Irgendwie hoffte er, dass das Wissen um seine Vergangenheit es ihm leichter machen würde, den schrecklichen Preis seiner Arbeit zu zahlen oder vielleicht hinter sich zu lassen. Bleierne Müdigkeit überkam ihn und schien bald mehr zu wiegen als sein Körper.
Der Kardinal schnippte mit den Fingern, und die Lichter um sie herum wurden gedämpft. Einer der Kirchenmänner schaltete einen Diaprojektor ein. Er hantierte an dem Gerät und die Bilder wechselten, zeigten den Weg von Rom in die Länder Osteuropas. Van Helsing wusste, was nun kommen würde. Der Kardinal würde etwas von ihm verlangen. Wie gewöhnlich würde es zu viel sein, und er würde erwarten, dass Van Helsing es trotzdem tat. Diesmal würde er den Kardinal vielleicht überraschen.
»Wir möchten, dass Sie gen Osten reisen, ins entlegene Rumänien, ein verfluchtes Land, das von allen Sorten albtraumhafter Kreaturen terrorisiert wird.« Van Helsing kannte die Region; er hatte gehört, was in den rumänischen Karpaten lauerte, in einer Region namens Transsilvanien. Das Bild eines osteuropäischen Adeligen tauchte auf der Leinwand auf. Das Gesicht war hübsch, aber mit seinen Augen stimmte irgendetwas nicht, stellte Van Helsing fest. Sie waren eiskalt.
»Wie ist Ihr Rumänisch?«, fragte der Kardinal.
Van Helsings Gesicht schien Unsicherheit zu verraten, denn der Kardinal fragte: »Sie sprechen doch Rumänisch?«
Van Helsing dachte einen Moment darüber nach. »Ja.«
»Gut. Das Land wird von einem gewissen Grafen Dracula beherrscht.«
Van Helsing war plötzlich alarmiert und studierte das Bild mit Interesse. Natürlich hatte er schon von Dracula gehört, aber irgendwie hatte er das seltsame Gefühl, jemanden zu sehen, den er kannte.
Das nächste Bild zeigte das Gemälde eines Edelmanns aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Der Mann sah resolut aus und trug eine Rüstung mit dem Zeichen des Kreuzes. Ein Name erschien im unteren Teil des Gemäldes: Valerious der Altere.
»Vor vierhundertfünfzig Jahren versprach ein transsilvanischer Ritter namens Valerious der Ältere Gott, dass seine Familie niemals ruhen, nicht den Himmel betreten würde, ehe sie nicht Dracula aus ihrem Land vertrieben hatte. Sie sind erfolglos geblieben, und ihre Familie stirbt aus.«
Weitere grobkörnige Bilder von Familienmitgliedern tauchten auf der Leinwand auf. Da war ein kräftiger, robust wirkender älterer Mann, der wie ein König aussah. Dann das hübsche Gesicht eines jungen Mannes. »Boris Valerious, König der Zigeuner. Er verschwand vor fast einem Jahr. Sein Sohn Velkan starb vergangene Woche.«
Das Bild eines schwarz gekleideten Mädchens auf einem Pferd ersetzte das des jungen Mannes. Sie mochte um die zwanzig sein und war wunderschön – und sie wirkte gefährlich. Sie hatte lange dunkle Haare, die ihr in Locken über den Rücken fielen. Obwohl sie enge schwarze Reitkleidung trug, wirkte sie wie jemand, der schon Schlachten erlebt
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