Van Helsing
Schwert auf die nächste Leiter zu. Auf halbem Wege hörte sie Geschrei und sah sich hastig um: Ein Dwerger kam von rechts auf sie zu, ein anderer von links.
Anna klemmte sich das Schwert zwischen die Zähne, beugte sich vor und machte einen Hechtsprung an das dicke Seil, das über einem Fass mit einer gefährlich aussehenden grünen Brühe hing. Einen Augenblick später sprangen ihr die Dwergi hinterher. Zu Annas Überraschung gelang auch ihnen der riskante Sprung. Sie rief sich in Erinnerung, dass sie stärker waren, als sie aussahen: Viele Landsleute hatten diese Kreaturen in der Vergangenheit unterschätzt und einen hohen Preis dafür bezahlt.
Anna kletterte dicht gefolgt von den beiden Dwergi an dem Seil hoch. Sie waren auch schneller, als sie aussahen. Anna überlegte, wie sie gegen sie vorgehen sollte, und entschied sich für das Nächstliegende: Sie nahm das Schwert zur Hand, um das Seil zwischen sich und den Verfolgern zu zerschneiden. Das alte Familienstück ließ sie nicht im Stich. Die Klinge durchtrennte das Seil mühelos, und ihrer Stärke, Schnelligkeit und Bösartigkeit zum Trotz plumpsten die Dwergi wie Steine in die grüne Brühe.
Die übrigen Diener von Dracula schienen Anna gar nicht zu bemerken. Sie arbeiteten fieberhaft weiter, und Anna hörte, wie Igor rief: »Wir dürfen die Nachkommenschaft des Meisters nicht verlieren!«
Das werdet ihr aber, wenn es nach mir geht!, dachte Anna und kletterte weiter.
Van Helsing wartete. Er hielt sich am oberen Ende der Säule fest und umklammerte seinen Holzpflock, um sich im geeigneten Augenblick auf Dracula zu stürzen. Da er dem Grafen, was Stärke und Geschwindigkeit anging, nicht gewachsen war, musste er das Ungeheuer überraschen.
Die energischen Schritte, die sich kurz darauf näherten, verrieten ihm, dass Dracula nach ihm suchte. Trotz seiner Rage schien der Vampir dabei mit eiskalter Präzision vorzugehen.
Als der Graf unter ihm auftauchte, machte Van Helsing sich bereit und wartete auf seine Gelegenheit. Dann trat Dracula auf das Phosphorzündholz, das Van Helsing auf dem Boden präpariert hatte.
Das Streichholz flammte auf, und Dracula sah erstaunt an sich hinunter. Im selben Moment ließ Van Helsing sich auf ihn fallen und holte aus. Dann rammte er dem Vampir den Pflock mit beiden Händen in die Brust. Es war ein präziser Hieb, exakt an der Stelle, wo das Herz des Grafen zu vermuten war.
Van Helsing sprang auf und wartete auf den Fall des Ungeheuers. Doch der Graf stand nur einen Augenblick lang reglos da ... dann lächelte er. Unglaublich! Einen solchen Treffer konnte kein Vampir überleben!
»Hallo, Gabriel«, sagte er freundlich.
Van Helsing erstarrte. Der Graf begrüßte ihn wie einen alten Bekannten. Während Van Helsing diesen Schlag erst einmal verdauen musste, ergriff Dracula ganz ruhig den Pflock, der tief in seiner Brust steckte, riss ihn heraus und warf ihn lässig fort.
Die klaffende Wunde in seiner Brust schloss sich auf der Stelle und heilte vor Van Helsings Augen. Der Graf studierte ihn eingehend. »Du erinnerst dich doch, oder?«
»An was genau sollte ich mich erinnern?«, entgegnete Van Helsing und wich in die alte Halle zurück. Dracula folgte ihm. Mit seinen Bewegungen erinnerte er an eine Katze, die mit einer Maus spielt.
»Du bist der große Van Helsing. Den Mönche und Mullahs von Tibet bis Istanbul geschult haben. Der dem Schütze Roms untersteht! Der aber so wie ich ...« – die Miene des Vampirs verfinsterte sich – »von allen anderen gejagt wird.«
Van Helsing brauchte Zeit, um seine Gedanken zu ordnen -Zeit, die er nicht mehr haben würde, wenn das Ungeheuer ihn tötete. »Da die Ritter des Heiligen Ordens alles über dich wissen, ist es wohl keine Überraschung, dass du etwas über mich weißt.«
»Oh, viel mehr als das. Unsere gemeinsame Geschichte reicht weit zurück, Gabriel. Ich weiß, warum du so furchtbare Albträume hast. All diese grausigen Szenen aus vergangenen Schlachten. Weißt du, wie du zu den dreieckigen Narben auf deinem Rücken gekommen bist?«
Das war ein Trick, es musste einer sein, aber es fühlte sich wahr an. »Woher kennst du mich?«, wollte Van Helsing wissen.
Von oben ertönte ein schriller Schrei: Anna war in Gefahr! Dracula lächelte nur. »Soll ich dein Gedächtnis ein wenig auffrischen? Willst du ein paar Details aus deiner schmutzigen Vergangenheit?«
Da war es! Das, was er sich am meisten wünschte – das Ziel seiner Suche –, und ausgerechnet Dracula bot es ihm
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