Van Helsing
der fünfzehn Stockwerke in die Tiefe reichte. Hoch über ihm zuckten Lichtblitze, das Brummen von Maschinen war zu hören. Nun war es nicht mehr weit.
Van Helsing sprang an die Kette, die in dem Schacht hing, wobei ihm ein paar Waffen aus dem Umhang fielen. Es spielte keine Rolle. Nichts aus seinem Arsenal war für den Kampf wichtig, den er noch zu führen hatte. Gegen Dracula half nur eine Waffe, und die führte Van Helsing mit sich.
Er begann, an der Kette hochzuklettern. Seine Hände arbeiteten immer schneller, bis er sie gar nicht mehr richtig erkennen konnte und er förmlich den Schacht hinaufflog. Er spürte, wie alle Angst um das eigene Leben und die Sorge um die Zukunft von ihm abfielen. Er wollte diesen Kampf – er sehnte sich danach.
Und er würde ihn bekommen.
Igor führte Anna und Carl die Turmtreppe hoch. Der missgebildete Diener Draculas stand eindeutig vor einem großen Dilemma. Wenn er sie weiter begleitete und sein Meister davon Wind bekam, wurde er auf der Stelle getötet. Wenn er sich weigerte, holte Anna die Zange heraus. Letzteres bereitete Igor zum Glück die größeren Sorgen, und nachdem sie ihm ein wenig Dampf gemacht hatten, stellte sich heraus, dass er ziemlich schnell sein konnte, wenn er wollte – und wenn sein Leben davon abhing.
Als sie den oberen Treppenabsatz erreicht hatten, standen sie vor einem Bogenportal, hinter dem sich das rettende Mittel für Van Helsing befand. Anna hatte ihren Bruder im Stich gelassen, aber sie würde weder ihre Familie im Stich lassen noch den Mann, der sie nun schon zweimal gerettet hatte. Sie wollte ihm jedoch nicht nur aus diesem Grund helfen. Als sie ihm zum letzten Mal in die Augen geschaut und ihn geküsst hatte, hatte sie plötzlich etwas gesehen: eine Zukunft.
In ihrem Leben und in ihrer Familie war es seit Generationen nur darum gegangen, ein Unrecht aus der Vergangenheit wieder gutzumachen. Ihr Vater hatte in dieser Vergangenheit gelebt, und an ihr waren er und Velkan zu Grunde gegangen. Anna hatte niemals damit gerechnet zu überleben.
Und nun war ein Mann gekommen, der keine Vergangenheit hatte, der ihr zeigte, dass es noch ein anderes Leben gab, eine hoffnungsvolle Zukunft... mit ihm.
Sie betrat den Raum. Wie alles in dieser Festung war er entsetzlich groß und wirkte wie aus schwarzem Stein gemeißelt. In der Mitte befand sich ein Podest, auf dem ein Glasgefäß mit einer klaren, gallertartigen Substanz stand. Darin war eine Spritze eingelegt. Igor wollte den Raum betreten, aber Anna hielt ihn zurück.
»Ich gehe zuerst.«
Draculas Diener warf ihr einen finsteren Blick zu, aber die Prinzessin ignorierte ihn einfach. Wachsamer als bei jeder anderen Jagd zuvor wagte sie sich hinein. Ihr fiel auf, dass alle Fenster verriegelt waren und es keinen anderen Eingang gab. Das bedeutete aus Draculas Sicht, dass der Raum leicht zu verteidigen war: Es gab nur einen Ein- und Ausgang. Anna hingegen sah vor allem die geringere Wahrscheinlichkeit, eine böse Überraschung zu erleben.
In diesem Moment wurden hinter ihr Kampfgeräusche laut, und sie drehte sich in Erwartung ebendieser bösen Überraschung um, auf die sie gut hätte verzichten können. Carl wurde von Igor in den Raum geschleudert; der kleine Mann kicherte fröhlich. »Sie können bleiben, so lange Sie wollen!«
Er betätigte einen Hebel an der Wand, und mit Getöse fiel ein Metallgitter vor Anna und Carl herab. Dann rannte Igor davon. Sein Gelächter hallte durch das Schloss.
»Leben Sie wohl!«, kreischte er wie irr.
Van Helsing war seinem Ziel sehr nah. Er hörte, wie die Apparate beschleunigten, und erkannte die Geräusche wieder. So hatte es geklungen, als der Graf auf Schloss Frankenstein versucht hatte, seine Kinder zum Leben zu erwecken. Diesmal nahm Van Helsing allerdings jede noch so kleine Veränderung wahr und konnte in all dem Lärm sogar die eiligen Schritte sämtlicher Dwergi erkennen.
Leise kletterte er aus dem Schacht und versteckte sich hinter dem nun zerschlagenen Eisblock, in dem kurz zuvor noch Frankenstein gesteckt hatte. Funken und kleine Eisstückchen regneten auf ihn herab. Er sah große Lichtbögen in dem neu aufgebauten Laboratorium aufblitzen. Überall flitzten Dwergi umher, und Dracula überwachte das gesamte Verfahren. Diesmal wirkte der Graf grimmig und äußerst ungeduldig.
In dem Dach über dem Laboratorium, in etwa sechs Metern Höhe, war ein großes Fenster, durch das Van Helsing den Käfig sehen konnte, in dem Frankenstein an Ketten in der
Weitere Kostenlose Bücher