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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Duck
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sie zu küssen?
    Hatte er am Abend zuviel geredet, womöglich gar Blech?
    Tagelang traute er sich danach kaum aus dem Haus, wartete auf den ersehnten Anruf von ihr, der aber nie kam. Sie selber anrufen ging nicht, ihre Eltern hatten kein Telefon.
    Ein Brief ans sie blieb unbeantwortet. Ob der womöglich auf dem Postwege verlorengegangen war?
    Bestimmt saß sie jetzt in ihrem Zimmer und wartete auf eine Nachricht von ihm.
    Im Minutentakt wechselten Zorn und Hilflosigkeit einander ab, Tag für Tag, ohne die geringste Aussicht, daß es jemals wieder könnte anders sein.
    Waren keine Nachrichten womöglich sogar gute Nachrichten?
    Doch, genauso mußte es sein!
    In irrwitziger Hoffnung schwelgend hüpfte Wilfried in seinem Zimmer auf und ab, so lange, bis die Nachbarn an die Decke klopften.
    Im diesem Moment zerstob zugleich die Illusion, nichts als tiefe Verzweiflung zurücklassend. Wilfried verbarg seinen Kopf im Kissen, aber nur einen Augenblick.
    Dergleichen taten doch nur Frauen im Hollywoodfilm mit garantiertem Happy End.

    Wenn er sich doch getraut hätte, zu weinen!
    Sich ausheulen, und es wäre vorbei? Doch bei wem?
    Die Freunde hätten ihn fürchterlich ausgelacht, ihn nie mehr ernstgenommen, ihn, das Weichei.
    Und die Eltern? Wilfried schüttelte sich bei diesem Gedanken.
    Und wenn vielleicht doch alles ganz anders wäre …?
    Nie zuvor hatte Wilfried dergleichen durchlebt.
    War das womöglich der schreckliche Preis, den man zahlte für das Aufwachen aus einem schönen Traum, war es das, was man „Liebeskummer“ nannte, der sich Gemeinplätzen zufolge nicht lohnte?
    Aber zerbrach er nicht soeben daran?
    Er mußte etwas unternehmen. Eine Erklärung war sie ihm zumindest schuldig, so wie ihn behandelte man keinen abgeliebten Menschen!
    Er würde sie abpassen, nach der Schule, auf dem Nachhauseweg, wozu er eine eigene Unterrichtsstunde an seiner Schule schwänzen müßte, das erste und einzige Mal in seiner Schulzeit.
    Sie war nicht erfreut, ihn zu sehen: „Ich hab´ noch mal überlegt …“ waren die einzigen Worte, die Wilfried zu hören bekam. Schon ging sie weiter, ließ ihn stehen, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    Hatte Wilfried zuvor gewähnt, für die Abfuhr gewappnet zu sein, so ließ ihn jetzt ihr „Korb“, nein, das wäre eine viel zu freundliche Bezeichnung, vielmehr ihre kalte Dusche zum Eiszapfen erstarren, zum Eiszapfen unter unzähligen anderen in diesem kalten Januar, dem Katastrophenwinter des Jahres 1979.

    Das Leben in dieser Zeit, es glimmte nur noch. Knappheit an Heizmaterial, Stromausfälle, bittere Kälte bis minus 30°C hielten das ohnehin an stetem Mangel leidende Land in eisigem Würgegriff.
    Rügen und Hiddensee waren von der Außenwelt abgeschnitten, die Menschen dort mußten sehen, wie sie allein zurechtkamen. Erst nachdem das Eis der Ostsee tragfähig geworden war, konnte mit Pferdefuhrwerken das Nötigste zu den Inseln gebracht werden.

    Jeden Morgen wanderten die bangen Blicke zuerst auf das Außenthermometer, dann zu den beiden Schornsteinen des Heizkraftwerkes der Stadt, welches viele Wohnungen mit Fernwärme versorgte und auch Reservekapazitäten für die Stromversorgung bereitstellte.
    „Noch vier Tage reicht die Kohle,“ so flüsterte man sich angstvoll zu. Nachschub aus den Braunkohletagebauen war nicht zu erwarten, der Abbau fast vollständig zum Erliegen gekommen, obwohl da draußen unter härtesten Bedingungen neben den Kumpeln auch viele NVA - Soldaten im Einsatz waren.

    So oft es seine Zeit erlaubte, zog es Wilfried jetzt nach draußen in die bittere Kälte.
    Raschen Schrittes ließ er die im Kälteschlaf liegende Stadt hinter sich, wanderte große Strecken querfeldein, sauberen Schuhes auf den phantastischen Gehwegplatten aus Schnee und Eis, genoß die Einsamkeit in der klaren Winterluft.
    Wenn dann die frühe Dämmerung hereinbrach, hielt er inne, betrachtete die Farben des Himmels, das Rot am Horizont, das matte Grün, das immer dunkler werdende Blau.
    Im geheimnisvollen Zwielicht der blauen Stunde wurde die Welt unwirklich, verschwand. Dann blieb allein er zurück - in einem wahrhaft existentiellen Moment.
    Kurze Zeit später funkelten die Sterne.
    Wilfried war wieder Teil des Universums.

    Nicht selten zog es ihn wie von Zauberhand geleitet Richtung Steinberg, wo Christine lebte.
    Er betrat jedoch nie die kleine Stadt, hielt an den Eigenheimen des äußeren Ringes inne und betrachtete träumend die hell erleuchteten Fenster: „Wird es auch mir dereinst

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