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Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition)

Titel: Variante Krieg oder Der Untergang des DDR - Planeten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffen Duck
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rückte näher. Erst war sie nur ein winziger Punkt am Horizont, kaum zu erahnen.
    Wilfried und die anderen hatten längst vergessen, wie es im zivilen Leben zugehen mochte.
    „Da draußen, da ist die Freiheit!“ flüsterte Weißbauer geheimnisvoll. „,Befehl ausführen!´, ,Jawohl, Genosse Unterleutnant!´, ,Ich straf´ Sie ab!´, das gibt´s alles net!“
    „Das kammer sich gar nich´ vorstelln!“ trompetete Niebold mit ehrlichem Unglauben in der Stimme.
    Doch dann wurden die Ausrüstungsgegenstände sukzessive eingesammelt und in einer dafür eigens leergeräumten Stube in der dritten Etage des Mannschaftsblockes zwischengelagert. Den Schlüssel zum Vorhof des Paradieses verwahrte allein der Spieß im inneren, stets verschlossenen Schließfach des „Panzerschrankes“, bestehend aus im Notfall mit einem Büchsenöffner leicht zu knackendem Weißblech.
    Zur Vermeidung von Einbruchspuren wäre man wahrscheinlich auch mit einem Schraubenzieher ans Ziel gekommen, während Wilfrieds Dienstzeit war das aber nie nötig gewesen.
    Das Innenschließfach aber wäre die eigentliche harte Nuß gewesen. Dort lagerten neben besagtem Schlüssel geheime Geldreserven des Hauptfeldwebels, der hin und wieder Regreßforderungen, die die merkwürdige NVA - Bürokratie mit einer gewissen Zwangsläufigkeit gebar, ungern aus eigener Tasche beglichen hätte, daneben gestempelte Blankourlaubsscheine und ähnliche Reserven für den Tag des Zufalls, den die Dienstvorschriften nicht kannten.
    Auch der Spieß war als Kind des Sozialismus Pragmatiker: „Besser man hat, als man hätte!“

    Als die sakrale Handlung endlich vollzogen war, nach einigem Probieren sich der Schlüssel im Schloß herumdrehte, und die offene Tür den Blick ins Allerheiligste freigab, wurde Wilfried wieder einmal übel: Ein regelmäßiges „Tote - Fliege - Muster“ bedeckte den grauen PVC - Belag. Irgendwie hatten es die Tiere tatsächlich geschafft, im Tode den gleichmäßigen Abstand zum Nahrungskonkurrenten zu wahren.
    Wilfried mußte sich an seine beiden Küchendienste erinnern, den einen im Winter, den zweiten im Hochsommer. Im Winter war es kein Problem gewesen, die Abfälle in die „Schweinetonne“ zu entleeren, im Sommer hingegen hatte irgend jemand kurz zuvor scheinbar Spaghetti ausgekippt, aber die Tonne beim Zielen verfehlt. Ungern würde er darauf treten, auch mit seinen Stiefeln.
    Erst als er näher kam, bemerkte er, daß die „Spaghetti“ sich bewegten. Würmer waren es, in gleichmäßigem Abstand umtanzten sie die Tonnen im Wurm - Rock´n Roll. Sie knackten, als Wilfried auf sie treten mußte, um die Speiseabfälle loszuwerden.

    Nun also Fliegen.
    „Holen Sie sofort Besen und Kehrblech!“ knurrte der Spieß.
    „Wäre ein Staubsauger nicht besser?“ fragte Wilfried scheinheilig, wissend, daß es ein solches Gerät nur im Stabsgebäude für die Reinigung der Teppiche in den Dienstzimmern der Regimentsführung gab.
    Gequält blickte ihn der Spieß an.
Konnte Wilfried ein Quentchen Mitleid mit ihm empfinden, mit ihm, der sich freiwillig für Jahrzehnte selbst an die Kette gelegt hatte? Stand er nicht alle sechs Monate am Bahnhof, den Reisenden nachwinkend, ohne selbst jemals die Genehmigung zum Einsteigen in den Zug der Freiheit, der Ungewißheit, zu bekommen, einer sehr eingeschränkten Freiheit inmitten der Diktatur, aber millionenfach wertvoller als das Strammstehen bei der NVA?
    Freiheit - die bekam man nur selten geschenkt, meistens mußte man sie sich nehmen, wenn einen nach ihr dürstete, oft genug auch bitter erkämpfen.

    Wilfried oblag es als Spießschreiber, die Ausrüstungsgegenstände entgegenzunehmen; er hatte penibel darüber Buch zu führen. Hatten ihn ansonsten jegliche bürokratische Prozeduren auf das quälendste genervt, diese Arbeit nebst „Paper - work“ tat er gern. Das Austragen aus dem Wehrdienstausweis durften nur Unteroffiziere des Stabes übernehmen, daher unterblieb es eben.
    Da etliche Genossen einzelne Ausrüstungsgegenstände verloren oder sie bei den vorherigen Entlassungen an die höheren Diensthalbjahre abzugeben hatten, damit die „Regreßhexe“ nicht zuschlug, tat man nun dasselbe mit den nachfolgenden Diensthalbjahren, die die Gegenstände zwar mit Murren, aber letztlich ohne größeren Widerstand rausrückten. Man würde sich ein halbes Jahr später auf die gleiche Weise schadlos halten.

    So war alles in bester Ordnung, als Wilfried die Gegenstände, in Zeltplanen eingepackt, aus dem Fenster

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