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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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Kneipenbesuche ... aber zufällig ist das mein Leben ... ich mag es so ... es ist ruhig, und ich liebe Ruhe ... nichts ist mir verhasster als Trubel, Lärm, hektische Betriebsamkeit ... da kommt man nie zum Denken ... oder zum Zuhören ... sieh mal an ... der Schreiber ist auch nicht da ... eine seltsame Figur ... scheint immer nur dazusein, wenn Tom hier ist ... kommt meistens etwas früher ... und geht kurz vor uns ... aber Andrea ... sie könnte ruhig mal zu mir rübersehen ... mein Bier ist schon seit einer Viertelstunde leer ... für Tom zapft sie immer schon vor ... für mich dann gleich mit ... aber heute ... nichts da ... nimmt mich gar nicht wahr ... mein Problem seit meiner Kindheit ... war schon immer unauffällig ... im Schatten der Größeren, Stärkeren ... vielleicht eher: der Lauteren ... denn groß und stark bin ich eigentlich schon ... einsneunzig, hundert Kilo, Schuhgröße sechsundvierzig ... trotzdem leicht zu übersehen ... langweilig eben ... klar, ich setze mich auch nie in Szene ... der Mittelpunkt ist nicht mein Ort ... eher die Peripherie ... da fühle ich mich wohler ... Andrea! ... hört mich nicht ... dabei ist es gar nicht voll heute abend ... ah, jetzt ... sie nickt ... hübsch ist sie ... eine wirkliche Bereicherung für unsere eher blasse deutsche Gesellschaft ... in meinen Klassen gibt es jetzt auch immer mehr davon ... aus Italien, Jugoslawien, der Türkei ... ein Aufblühen ist das ... ein Spiel lebhafter Farben ... wenn ich besser malen könnte ... nur die Farben ... keine Personen ... Umrisse allenfalls ... aber das wunderschöne Zusammenspiel ... die ineinander aufgehenden Gegensätze ... blass-zart und dramatisch-farbig ... allerdings geht mir das Naturell häufig auf die Nerven ... werden schnell laut ... und eben dramatisch ... erregen sich zu leicht ... bin ich nicht gewohnt ... ist auch nicht meine Art ... danke! ... ich kann nicht herumbrüllen ... mit der Faust auf den Tisch ... gezwungenermaßen lasse ich dann den Sturm vorüberziehen ... komme ohnehin nicht dagegen an ... ducke mich hinter mein Pult und lächle ... und das mögen sie ... tatsächlich bin ich einer der beliebtesten Lehrer ... ein schönes Gefühl ... dafür kann ich auch mal zurückstecken ... andere dominant sein lassen ... mich kostet das nicht viel ... nur das Gefühl, unterlegen zu sein ... obwohl ich am Ende gewinne ... wenn die größte Aufregung sich gelegt hat, sorgen sofort ein paar Schüler für Ruhe ... meistens die Mädchen ... als wollten sie mich schützen ... Rücksicht nehmen ... ich liebe diese Arbeit ... und die meisten Kinder ... normalerweise geben sie sich viel Mühe ... natürlich gibt es welche ... bei denen wirken widrige Gene mit unheilvoller Umgebung zusammen ... man sieht ihnen schon in diesem Alter das Unheil an ... dass die Welt von ihnen nicht viel zu erwarten hat ... einer von dieser Sorte liegt ja im Krankenhaus ... bei einem Raubüberfall von einem mutigen Passanten niedergeschlagen worden ... er war kein schlechter Junge ... nur scheu, unfroh ... sah sich immer um ... als könnte plötzlich jemand hinter ihm stehen ... jemand mit einer Eisenstange in der Hand ... Valerio heißt er ... verließ ohne Vorankündigung im letzten Jahr die Schule ... kein Abschluss ... wohnt in diesem unsäglichen Ghetto ... draußen, wo unsereins angeblich nicht sicher ist ... zu viele kleine Gesetzlose ... kleine Pinkies ... ich war mal bei einem Gespräch mit der Mutter dabei ... der Klassenlehrer hatte sie vorgeladen ... der Junge fehlte einfach zu oft ... ein Witz, das Gespräch zu nennen ... sie sprach kein deutsch ... nur einen italienischen Dialekt, der auch unseren Italienischlehrer überforderte ... was soll man da machen ... schade ... er war nicht unbegabt ... konnte mit Farben gut umgehen ... jetzt droht ihm der Jugendknast ... und der wird ihn prägen ... man kennt das ... er ist kein Führer, sondern ein Folger ... wenn nicht ein Wunder geschieht, wird bald ein erwachsener Verbrecher aus ihm geworden sein ... darum verstehe ich Tom ... er mag Frauen sehr ... sie werden fast nie gewalttätig, fast nie kriminell ... nur, wenn sie gezwungen werden ... trotzdem können sie natürlich böse sein ... Andrea! ... nichts ... manchmal schaut sie her, wenn sie die Flamme des Feuerzeugs sieht ... also noch eine Zigarette ... nichts ... oder gleichgültig ... mir gegenüber jedenfalls ... hallo! ... sie läuft einfach vorüber ... wischt jetzt erst einmal die unbesetzten Tische sauber ...

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