Variationen zu Emily
angespannt ... sinkt gleich auf seinen Platz ... holt wieder ein Heft heraus ... wie viele er hier wohl schon vollgeschrieben hat ... benutzt einen edlen Füllfederhalter ... ein ähnliches Exemplar erhielt ich zum Abitur ... teuer und wie gemacht für das Schreiben ... auch erstaunlich ... kein Note- oder Powerbook ... oder wie diese transportablen Computer heißen ... alles mit der Hand ... da müssen Korrekturen eine Heidenarbeit machen ... na ja, vielleicht rechnet er ja nur den Stromverbrauch nach ... ah, neue Musik ... fühlte mich auch gerade sehr einsam ... eine von diesen anachronistischen Jazzrock-Bands ... Chicago oder Blood Sweat and Tears ... fades Zeug, aber nachvollziehbar ... so war es damals eben ... in den Siebzigern ... ich spielte Handball ... mit ein paar Kumpels ... und danach in die Kneipe ... der Adler ... schüchtern war ich schon damals ... aber es kamen immer wieder ein paar Mädchen hin, die uns toll fanden ... Handballer, die in einer richtigen Liga spielten ... fast wie Groupies ... da war Elena ... ein feines Mädchen ... für unsere Frauenhelden zu wenig spektakulär ... ruhig, ernst und immer nüchtern ... sie trank grundsätzlich keinen Alkohol ... ja, die war für mich eine Ausnahme ... diese hohe Stirn, diese ausgeprägten Wangenknochen ... und das Schimmern ihrer Augen ... eine stabile Figur ... wie gemacht für Halten, Heben, Tragen ... die anderen standen eher auf die zierlichen Püppchen ... ich traute mich natürlich nicht, sie anzusprechen ... das tat sie ... sie trat an unseren Tisch, schaute mir in die Augen ... in mir entstand etwas wie ein Vulkanausbruch, als ich ihre Augen auf mir spürte ... sie hielt mir ihre Hand hin und fragte: Kommst du mal mit raus ... ich spürte das Lächeln meiner Freunde um mich herum ... aber ich schraubte mich aus der Umklammerung ... wand mich aus der Bank und folgte ihr ... wir gingen vor die Tür ... unser Atem erzeugte graue Wolken in der Kälte ... sie duftete so schön ... ihr Hals wies mir den Weg abwärts ... der aber durch naturgewirkte Schafswolle versperrt war ... sie wich vor mir zurück ... zog mich dabei aber mit sich in die Dunkelheit ... bis sie an der Steinmauer um den Sportplatz zum Stehen kam ... sie keuchte leise, und das war es ... ich fühlte mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich als Sieger ... sie half mir ... danach zog sie ihre Hose hoch ... küsste mich zart auf den Mundwinkel ... der Kuss eines Engels, wie zum Trost ... und sie sagte: du bist ziemlich gut, weißt du ... als ich wieder hineinging, hörte ich den rasselnden Lärm ... ihr VW Käfer, dessen Motor ansprang ... sie ist dann verschwunden ... von einem Tag auf den anderen ... ihr Vater, hieß es, war plötzlich versetzt worden ... Offizier bei der Bundeswehr ... ich würde sie gerne wissen lassen, dass ich noch immer an sie denke ... mit ihr gäbe es keine kleinlichen Streitereien ... warum bin ich da so sicher ... weil sie so ernst und klug war, vielleicht ... und so handfest, so wenig empfindlich ... und weil sie mich zu verstehen schien ... warum sonst hat sie mich ausgewählt ... es gab eine Menge gut aussehender Burschen unter uns ... Typen, die mit Frauen umgehen konnten ... nie schüchtern wirkten oder rot anliefen ... wie ich ... meine Traumfrau, wenn ich in solchen romantischen Floskeln denken würde ... ganz anders als Christiane ... die ist launisch, weil sie noch nicht ganz Christiane ist ... weil sie noch gar nicht weiß, welche Rolle sie in dieser Welt spielen soll ... ein verwöhntes Kind an der Kasse im Supermarkt ... will die bunten Gummibonbons haben ... die Luftballons und die zierlichen Schnapsflakons ... und schmollt, wenn sie sie nicht bekommt ... Elena war schon ganz sie selbst ... komisch, sie war noch viel jünger ... aber ich wette, sie ist heute noch so klar ... so sicher und selbständig ... hat bestimmt ihr Leben in die eigenen Hände genommen ... es ist bestimmt das Bier ... aber ich sehne mich nach ihr ... so wenig ich von ihr weiß ... ob man herausbekommen kann, wo sie lebt ... nach fünfzehn Jahren ... vielleicht über die Bundeswehr ... aber die geben bestimmt keine Informationen heraus ... über die aktuelle Garnison ihrer Offiziere ... ich weiß wirklich fast nichts über sie ... ob sie Freundinnen hatte ... oder einen festen Freund ... mal Tom fragen ... vielleicht hat er eine Möglichkeit ... über seine Zeitung ... sie hatte so fragile Nasenflügel ... passten gar nicht zu dem stabilen Mädchen ... scheiße,
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