Variationen zu Emily
eine hohe Stimme etwas von Fuck und Enemy näselte.
Das Gedränge spielte sich überwiegend im Bereich der Ba r und der Spielsachen ab, so dass man am Fenster tatsächlich einigermaßen ungestört war. „Siehst du,“ brüllte sie, „ist doch ruhig hier.“ Er nickte ein wenig trübsinnig, beantwortete dann aber ihr strahlendes Lächeln, das er mittlerweile sehr liebte. Es weckte Lichter in ihrem strengen, schmalen Gesicht, die unmittelbar auf die Freudesensoren in seinem Kopf wirkten. Er griff nach ihrer Hand und hob sie sanft an seine Wange. Der Duft ihrer Haut! Es war wirklich egal, wo sie waren. Mit seinen Augen sagte er ihr das, und sie errötete leicht. Um diesen Verrat ihrer Hormone zu vertuschen, sah sie sich im Raum nach einer Bedienung um. Es kam etwas heran, das wie ein Schneemensch im Streichelzoo wirkte. Es war riesig und massig, und es trug eine grellgrüne Schürze, aus der es einen kleinen Schreibblock zog.
Die Stimme war so hoch, dass sie mühelos das Donnern der Musik durchdrang. „Essen? Trinken?“ Sabrina kicherte und bestellte trockenen Weißwein für zwei. Leo nickte nur. Es schien ihm unsinnig, gegen diesen Lärm und eine fröhliche Sabrina anzukämpfen. Eigentlich hatte er Lust auf ein kaltes Bier. Das Ungeheuer steckte den Schreibblock weg, wandte sich schwabbelnd um und tauchte im Gewühl unter.
„Eine Sie, ein Er – oder ein Was?“, fragte Sabrina und schauderte leicht amüsiert. Er schüttelte den Kopf. Dieser schöne Kopf mit dem Raubvogelprofil! Wie verschlossen sie gewirkt hatte, als er sie zum ersten Mal sah, wie verdrossen und arrogant. Und jetzt saß sie ihm gegenüber, ungezwungen und munter wie ein junges Mädchen, als wäre das alles nur seine Projektion gewesen. Sie waren noch nicht we it gekommen miteinander. Sie wussten noch nicht viel. Aber es steckte Glanz in ihr, Mut und Zuversicht, die in ihm eine unklare Hoffnung keimen ließen. Sie sah auf den Platz hinaus, ihr Atem ein süßer Nebel auf der Scheibe. Plötzlich griff sie nach seiner Hand. „Sieh doch mal!“
Er hörte es nicht, aber er verstand die Geste und sah hinaus. Draußen gingen wie immer Fußgänger von Schaufenster zu Schaufenster, eilig und mit hochgezogenen Schultern, denn es war kühl und regnete mal wieder. Ein paar vorüberziehende Autos produzierten kleine Wellenbewegungen in den Pfützen, die in den Farben der Reklamelampen schillerten. Um die Straßenlaternen bildeten sich kreisrunde Heiligenscheine, die an den Rändern in die Dunkelheit ausfransten. Alles wie immer, kam ihm vor, und er sah sie fragend an. „Taxi“, brüllte sie, und jetzt verstand er. Am Sammelplatz vor dem Bahnhof stand keines der hellbeigen Fahrzeuge.
Aber an den Mündungen der Straßen in den Platz waren Ansammlungen von jeweils zwei oder drei Taxen zu sehen, die eng beieinander reglos mit angeschalteten Scheinwerfern zu warten schienen. Das war seltsam. Nur die Straße gegenüber, aus der jetzt eine dunkle, einsame Gestalt in das Licht des Platzes trat, war nicht mit Fahrzeugen verrammelt. Aber direkt hinter der Gestalt – ein junger Mann in schwarzer Kleidung – erschienen plötzlich sechs Scheinwerfer, die sich nebeneinander aufreihten. Von ihrem Tisch in der Kneipe aus erschien ihm das Ganze wie ein übergroßes Brettspiel mit Taxen als Spielsteinen, aber er verstand die Regeln nicht. Die dunkle Gestalt drehte sich um, sah wohl die Lichter hinter sich und rannte los. Was geschah dort? Aus den wartenden Autos stiegen Männer, in den Händen Knüppel und kurze, im Laternenlicht metallisch aufglänzende Gegenstände. Jagd, kam ihm in den Kopf. Menschenjagd.
Er sprang auf, warf dabei den Tisch um und stürzte zum Geräusch zerschellenden Glases aus der Tür. Rechts von ihm sagte eine ruhige, drohende Stimme: „Zurück mit dir!“, und er verspürte einen lähmenden Schlag. Er sank auf dem nassen Bordstein zusammen und hielt sich leise stöhnend das taube Bein. Der Junge kam rennend näher, sah die kampfbereiten Männer in der nahen Straßeneinmündung und wandte sich einer anderen Gasse zu. Man konnte sehen, wie er nach Atem rang. Doch auch dort standen sie, und hinter ihm rückten andere auf. Es mochten an die dreißig sein, die ihr Wild gemächlich umzingelten. Nur wenige machten sich die Mühe, ihm im Trab zu folgen, um ihn zu treiben.
Der Junge – ja, es war der Junge mit der Narbe, vor dem er Martha beschützt hatte – war sehr schnell, aber an jeder Einmündung stand eine Phalanx von Wächtern, die auf ihn
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