Variationen zu Emily
blöd ... um diese Zeit wird hier nicht geduscht, sagt sie ... zieht ihre Mundwinkel herab ... als wäre das eine unmögliche Idee ... was hat sie nur ... soll ich mich noch entschuldigen? ... nein, sie ist wahrscheinlich nur dabei, bewusst zu entspannen ... kann nicht verstehen, dass ich so tue, als ob ich in einer Großstadtwohnung unter Städtern wäre ... ja, schon gut, wir sind hier anderen Gesetzen unterworfen ... aber sie muss doch wissen, dass ich die nicht kennen kann ... offenbar gibt es hier bestimmte Zeiten für die Körperhygiene ... denn dazu muss eigens ein bestimmtes Gerät in Gang gesetzt werden ... bei uns gibt es einfache Durchlauferhitzer, wenn schon die Heizung nicht genügend warmes Wasser produziert ... aber diese Leute sind anscheinend mit Brennstoffen und Strom ein wenig eigen ... wie früher: Samstag war Familienwaschtag ... und die Kinder kamen nacheinander in das gleiche Wasser ... die Älteren hatten es besser, denn sie kamen zuerst ... habe ich nie erlebt, nur erzählt bekommen ... bei uns zu Hause gab es solche Regeln schon nicht mehr ... ein Luxus, den man gar nicht als solchen wahrnahm ... so selbstverständlich war er ... ich konnte duschen, so oft und so lange ich wollte ... mein Vater duschte an manchen Tagen zweimal, wenn er Squash oder Tennis gespielt hatte ... macht er nun ja auch nicht mehr, nur noch ein wenig Waldlauf ... zu strapaziös für die Gelenke, sagt er ... ich sollte wenigstens noch mal auf die Toilette gehen ... das wird Big Brother ja wohl zulassen ... sicherheitshalber eine Lage Klopapier in die Unterhose ... es rumort schon so komisch im Unterbauch ... ah ... das erlebt man selten ... so viel frische Luft auf dem Klo ... sehr reinlich wirkt das hier ... trotz der vielen Benutzer ... oder gibt es oben noch eine Toilette ... wahrscheinlich ... noch nichts passiert ... selbst aus diesem Fenster ein Blick in die Bäume ... und so ruhig ... ein kleines Plätschern von einem Bach ... ein paar Vögel, die sich auf die Nacht vorbereiten ... und da, eine Glocke ... wohl die Kapelle ... Abendgottesdienst oder so ... da gehen auch ein paar Leute über die Straße ... wirklich schlicht gekleidet, kein neonbunter Trainingsanzug ... oder was man heute in der Stadt so als Freizeitkleidung trägt ... aber Freizeit, hat Sabrina mir erklärt, ist ein Wort, das es hier nicht gibt ... alles ist Dienst am anderen und an einem gemeinsamen Werk ... keine Trennung in eine vermeintliche Fremdbestimmung und eine selbstgewählte, private Beschäftigung ... oder Nichtbeschäftigung, vulgo: Muße ... heute offensichtlich meistens vor dem Fernseher verbracht ... wie war das? ... der durchschnittliche Deutsche schaut dreieinhalb Stunden täglich fern ... ein Viertel seines wach verbrachten Tages ... eine Kulturnation, offensichtlich ... das gibt es hier nicht ... die Menschen hier haben gewählt: ihren wie auch immer beschaffenen, andersartigen Weg ... ok, ich bin fertig ... huch! steht der Typ da wie abwesend vor der Toilettentür ... habe ihn gar nicht kommen hören ... obwohl doch in diesem Haus jeder Schritt wie abgefeuerte Haubitze klingt ... schaut mich nur kurz mit seinem schrägen Lächeln an, bei dessen Anblick ich ganz krank werde ... und verschwindet dann in der Toilette ... komisch ... ob er wohl schon eine Weile da gestanden hat? ... ich habe ja wirklich ein wenig getrödelt ... na ja, wenn schon ... kann ja nicht wissen, dass da jemand wartet, wenn ich nichts höre ... ach, wenn ich mich doch auch noch ein wenig hinlegen könnte ... aber so neben Sabrina ... sieht zu sehr wie Anbiederung aus ... wer weiß, was sie sich dann denkt ... liegt tatsächlich noch immer so da, die Augen geschlossen ... eine Hand auf dem Bauch ... die Hände sind auch recht schön ... schlank und ausdrucksvoll ... kurze, gepflegte Fingernägel ... kein Ring, kein Armreif ... überhaupt kein Schmuck! ... war mir in der Praxis noch gar nicht aufgefallen ... was das wieder bedeutet ... also auf den Stuhl ... eine Bibel auf dem Tisch, klar ... müsste doch mal rauskriegen, wie hier der Gottesdienst aussieht ... bestimmt sehr konservativ, aber nicht auf die katholische Art ... kein Latein, keine gregorianischen Gesänge ... eher schlicht, einfach und schmucklos ... vielleicht bitten sie mich, morgen mitzukommen ... warum nicht, vergebe mir ja nichts dabei ... zu Hause würde ich allerdings nie auf die Idee kommen ... ist wohl irgendwie aus der Mode gekommen ... zu glauben und das zu bekunden ... ehrlich: Wer
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