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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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die Lächelnde war, die den lahmen Beginn unserer Bekanntschaft nutzen wollte, um ein wenig Unterhaltung zu haben.
    Nimmst du auch noch eins? Andrea – ach, sie nickt nur. Tolles Mädchen! Ich war damals noch ehrgeizig. Ich hatte mir zwei Wochen freigenommen, um eine Abhandlung über die Rolle des Schriftstellers in den Emily-Variationen zu verfassen, die ich zur Vergabe des Pulitzer-Preises einreichen wollte. Es wurde dann nichts daraus. Jedenfalls war ich an jenem Abend schnell in die Arbeit vertieft, so dass das arme Mädchen vergeblich wartete. Als ich ein paar Biere später ein wenig schwankend die Bar durchquerte, um zu den Toiletten zu gelangen, war sie nicht mehr da.
    Es wurde spät da draußen unter diesem unglaublichen Sternenhimmel. Warst du mal in Afrika? Komm, gib mir auch eine, habe meine vergessen. Danke. Viele Leute schwärmen von den Safaris – Löwen, Zebras, Elefanten und so. Ist ja auch nett. Was mir dagegen immer in Erinnerung bleiben wird, sind die Gerüche. Ein wenig Salz und Tang vom Meer, aber sehr viel Land ist darin enthalten, dumpf, süß und schwer, mit einem beizenden Hauch von Feuern aus einem schwelenden, würzig verbrennenden Holz. Und der Boden dort: Das Gehen ist ein Erlebnis, man fühlt sich leicht und beschwingt, weil der Boden nachgiebig ist, richtig unter den Schritten federt. Wir kennen das gar nicht. Der Boden in Deutschland ist immer fest, auch wenn er nicht mit meterdickem Beton einbalsamiert wurde, als wäre er Bestandteil des Westwalls.
    Den nächsten Tag verbrachte ich in der Nähe des Pools auf einer Liege, las ein wenig im mitgebrachten Hintergrundmaterial und überarbeitete das am Vorabend Geschriebene. Döste, schaute in die Palmen hinauf, schwamm auch wieder ein paarmal im Pool und kicherte vor mich hin bei ein paar Ideen, deren Ausarbeitung mich sofort disqualifiziert hätte. Kein Gedanke an das schöne Lächeln. Aber als ich dann am Spätnachmittag zum Aperitif zur Bar ging, saß sie da. Wieder allein an einem Tisch, der aber strategisch so günstig stand, dass man an ihm vorbeigehen musste, wollte man nicht durch das Wasser des Schwimmbeckens tauchen. Ich blieb gezwungenermaßen grüßend stehen, sie lächelte wieder bezaubernd und lud mich ein, mich zu ihr zu setzen.
    Sie trank irgend so einen Cocktail, von dem zwei blau, drei schwerkrank machen und der vierte absolut tödlich ist wie ein Fallbeil, bedient von einem erfahrenen Henker. Ich setzte mich und bestellte mir ein Bier. Wie sich herausstellte, war sie ein nettes, einfaches Weibchen aus unserer Stadt, das mangels einer vernünftigen Ausbildung und vielleicht auch wegen einer etwas eingeschränkten Auffassungsgabe den Beruf der Flugbegleiterin gewählt hatte. Aber sie hatte Charme! Sie fragte so süß und himmelte mich beim Zuhören derart an, dass ich das Gefühl bekam, selbst Jim Morrison hätte bei ihr gegen mich keine Chance gehabt. Das regt an – kennst du auch, was?
    Ich erzählte ihr ungefähr eintausend Dinge, die sie nichts angingen, erwähnte Wilma und Serena, beschrieb ihr meinen Job und mein Leben, meine körperlichen Aussetzer und meine Ideale. Komisch ist das schon, manchmal. Das Gespräch trieb genau in die von i hr gewünschte Richtung, ohne dass sie diese Richtung selbst kannte. Sie steuerte es durch ihre Fragen, ihren Gesichtsausdruck und ihre Körperhaltung – rein intuitiv. Wir verabredeten, nach dem Essen zusammen noch ein wenig zu plaudern, und trennten uns vorübergehend. Wie ich sie so weggehen sah, dachte ich: Schön ist sie nicht, aber lieb und reizend. Und ihr Körper erschien mir wegen dieser Merkmale durchaus anziehend.
    Du musst nicht glauben, dass sie häss lich war. Nein, sie war einfach unauffällig und normal, ein wenig gedrungen und mit wenig Taille. Aber sie sah sehr nett aus, wenn sie mich aus geringem Abstand ansah, und wirklich äußerst hübsch, wenn sie lächelte. Während des Essens ging mein Geist mit mir spazieren und zeigte mir, was sich in mir für Wünsche regten. Ich war nicht wirklich wild auf sie, aber die Vorstellung, in diesem Klima, unter diesem Sternenhimmel eine Frau zu küssen und ihre Brüste zu berühren, lenkte mich doch von Emily ein wenig ab. Als wir uns wiedertrafen, hatte ich neben den beiden Bier als Aperitif bereits eine Flasche Wein zum Abendessen getrunken und war dementsprechend reichlich entspannt.
    Wir gingen in die Bar, redeten und tranken. Dann betraten wir zum ersten Mal den Ausschank auf dem Dach des Hauptgebäudes, ein

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