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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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paar Wochen später. Claudia hatte mich mehrfach angerufen – ich konnte ja nicht aktiv werden wegen ihres Mannes. Wir hatten geplaudert, banale, aktuelle Geschehnisse aus unserem Leben ausgetauscht. Und sie hatte gefragt: „Hast du mich noch gern?“ Oh ja! Wie ich sie mittlerweile wollte! Und da schlug sie plötzlich ein Treffen vor. In der Mitte, wie vereinbart. Es gäbe da eine Raststätte, sagte sie, dort würden wir uns treffen und uns dann ein nettes Plätzchen suchen.
    Sie war in meinem Kopf mittlerweile zu einem Zauberwesen herangewachsen, idealisiert und mit einer Sehnsucht herbeigewünscht, die wohl ihre Ursache nicht zuletzt darin hatte, dass ich mein Versagen wiedergutmachen und meinen zu Träumen mutierten Vorstellungen näher kommen wollte. Ich hatte mich während der ganzen Zeit mit dem von mir unlösbaren Problem beschäftigt, eine gemeinsame Zukunft aus mir unzugänglichen Materialien zu zimmern. Sie könnte sich scheiden lassen. Sie könnte umziehen. Wir könnten uns eine gemeinsame Wohnung nehmen. Wir würden jeden Abend zusammen ins Bett gehen. Jeden Abend dieses Leuchten! So fuhr ich ein wenig aufgeheizt los.
    Ich hatte damals eine Luxuslimousine, etwas mit sechs Zylindern und vielen Pferdestärken. Es war wohl zum ersten Mal, dass ich diese Pferde richtig rennen ließ. Und natürlich kam ich zu früh am Treffpunkt an. Ich saß in meinem Wagen und wartete. Ich hatte schon so lange gewartet. Kennst du das, das Warten auf eine Frau, der du nicht sicher bist? Wochenlang? Und wenn sie nun gar nicht kam? Etwas dazwischengekommen war? Ich war nicht erreichbar – Mobiltelefone gab es damals noch nicht, und ein Autotelefon wie sie in ihrem Sportwagen hatte ich nicht. Aber sie kam. Und war wieder ein sanftes, Glück ausstrahlendes Gestirn.
    Wir fanden bald tatsächlich eine stille, sonnige Lichtung in einem abgelegenen Waldstück. Ich hatte eine Decke dabei. Und ihr mehrere Briefe mitgebracht, die ich nicht hatte abschicken können: Liebesbriefe! Andrea! Du doch auch, oder? Also nochmal dasselbe. Danke. Sie las eine ganze Weile. Es waren aber auch lange, ziemlich vollgepackte Dinger.
    Sie lobte meine Briefe auf eine Art, die mir sagte, daß sie sie nicht recht verstand oder etwas ganz anderes im Kopf hatte. Es war anders, es war eine andere Situation als während des Seminars. Das richtige Leben spielte hier eine ziemlich dominante Rolle. Unter anderem in Form der Zeit, die bewirtschaftet werden mußte: Sie durfte nicht zu spät losfahren, damit sie vor ihrem Mann wieder zu Hause war. Wir hatten die Gelegenheit gehabt, ganz spontan unsere Wünsche auszuleben. Und es meinetwegen versäumt. Das war vorbei. Unser Beisammensein ähnelte der kurzen Bekanntschaft auf einem Bahnsteig, den der Zug schon bald wieder verläßt. Die Begegnung würde nichts an unseren Lebensbedingungen ändern. Eine ziemlich aufwendige Abwechslung, aber keine wirkliche Revolution. Daher war ich, lächerlicherweise nur mit der Zukunft beschäftigt, nicht in der Stimmung für erotische Aktivitäten. Sicher, sie war sehr reizvoll, aber ich wollte ja so viel mehr.
    So blieben von diesem Treffen für eine Weile der Abdruck meiner Decke auf dem Waldboden mit den Vertiefungen, die unsere Körper hinterlassen hatten, und unsere ungestillten Wünsche. Lichtung der Zaghaftigkeit. Denn sie sagte nicht viel zu meinen in den Briefen vorsichtig angedeuteten Plänen, sagte aber auch nicht, worum es ihr ging. Mein Drängen nach einer Perspektive beantwortete sie mit ihrem vagen Vorhaben, später mal selbst Unternehmerin zu werden. Dann könnte sie frei entscheiden, wie sie sich ihr Leben einrichtete. Das war wenigstens ein Hoffnungsschimmer, aber einer, der hinter einem Wall von Jahren leuchtete!
    Du merkst schon, ich war ein romantisierter Debiler. Einfach vertrottelt, naiv und idealistisch, einem Ziel nachrennend, das bereits in der Vergangenheit lag. Und das in diesem doch immerhin einigermaßen reifen Alter! Nun ja, derartige Verliebtheiten haben wohl mit Lebenserfahrung nicht viel zu tun. Komm, eins geht noch. Mann, die sieht einfach alles! Danke, Andrea. Sag mal, wann hast du deinen freien Tag? Montags? Hättest du Lust, mit mir Essen zu gehen? Ich würde dich gern mal einladen – nach der Alienshow, die ich dir heute geboten habe, würde ich mich gern mal im Anzug vor dir präsentieren. Wann? Übernächste Woche. Fein. Wo treffen wir uns? Gut, ich hole dich ab. Um acht, ja? Ich freu mich! Wir zahlen dann auch. Danke.
    Entschuldigung. Das

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