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Variationen zu Emily

Variationen zu Emily

Titel: Variationen zu Emily Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Saarmann
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anderen vorgestellt. Claudia hatte mich zu befragen. Eine blonde Person mit leicht bayerischem Dialekt, von einem absonderlichen, intensiven Leuchten umgeben, die zufällig neben mir saß. Sie machte es dann auch sehr gut. Hatte einen klaren Kopf. Erstaunlich war ihre Wirkung auf mich, weil ich eigentlich auf mädchenhafte Frauen stehe. Du weißt schon, eher klein, sehr schlank, Körbchengröße B, beweglich. Claudia war eine erwachsene, prächtig gewachsene Frau. Weder körperlich noch geistig war da etwas von einem Mädchen zu f inden. Eigenständig, selbstbewusst.
    Wir fanden uns nach diesem ersten Seminartag abends in der Bar des Hotels wieder, umgeben vom mittleren Management irgendwelcher mittelständischer Betriebe, die sich weiß der Teufel was von dieser kostspieligen Erziehungsmaßnahme für ihre angehenden Führungskräfte erhofften. Sie ragte heraus. Wie gesagt, sie hatte ein Leuchten, das meinen Blick immer wieder auf sie zog. War es ihr blondes Haar, ihr heller Teint, ihr plötzlich aufstrahlendes, umwerfendes Lächeln, oder waren es ihre unglaublichen blauen Augen? Sie schaute mich auch an, ertappte mich bei meinen forschenden Blicken. Es stellte sich im Laufe des Abends heraus, dass sie einer Dynastie von erfolgreichen Elektrokaufleuten entstammte, mit einem gewichtigen Mitglied der sogenannten New Economy verheiratet war – und dass sie mich wollte.
    Ich weiß bis heute nicht genau, was mich so interessant für eine Gattin und Erbin von Millionären machte. Allerdings war ich in diesem Umfeld gut aufgelegt, machte mich halbwegs geistreich lustig über uralte Regeln in neuem, jetzt asiatischem Gewand und spielte den angenehmen Unterhalter. Aufmerksam, neugierig und klug. Das mag ihr Eindruck gewesen sein. Und attraktiv offensichtlich, denn ihre vielfältigen Gesprächsbeiträge richteten sich immer an mich, wenn sie auch den Eindruck zu erwecken versuchte, ganz allgemein in die Runde zu sprechen.
    Noch ein Bier? Ach, willst du eine Zigarette? Heute rauchst du mal von meinen – ich schulde dir mindestens eine ganze Schachtel. Oh, danke, Andrea. Wir gingen spät schlafen. Ich freute mich im Bett auf den nächsten Tag, an dem ich sie wiedersehen würde. Da war etwas in oder an ihr, das ich gern näher kennenlernen, anfassen, ja, besitzen wollte. Und sie hatte anscheinend ähnliche Wünsche. Das zeigte sich erneut am zweiten Tag des Seminars, an dem sie mir kaum von der Seite wich und alle meine Äußerungen im Plenum mit einem Blick quittierte, der neben Beifall für den jeweiligen Gedanken auch noch eine Art von Liebkosung und Stolz ausdrückte.
    Es ist ja immer schön, zu gefallen. Man fängt an, eine Rolle zu spielen, die sich an den Erwartungen der Geliebten ausrichtet. Nicht, dass das lange gutgeht. Aber für eine Weile kann man sich diese Form zu eigen machen, als wäre sie eine Ausprägung des eigenen Egos. Ist sie ja wohl auch, wenn auch nur temporär. Eben nur eine Facette. Wir kamen uns im Laufe dieses zweiten Tages auch körperlich näher. Wir berührten uns, wenn sich die Gelegenheit ergab. Wir legten uns die Hände auf die Schultern, verknoteten die Finger miteinander, wir neigten die Köpfe zusammen, um uns etwas zuzuraunen. Sehr schön, so eine wachsende Vertrautheit, die noch nichts von Routine weiß.
    Abends saßen wir wieder mit der zukünftigen Elite des Mittelstands zusammen, aber es gelang uns nicht mehr, über sie hinweg miteinander zu reden. Denn auch bei den anderen war die Vertrautheit gewachsen, und ein allgemeines, sehr reges Palaver war die Folge. Wie üblich bei solchen Veranstaltungen. Al so stand ich irgendwann auf, nahm sie bei der Hand und teilte der Runde mit, dass wir noch ein wenig spazierengehen würden. Draußen umfasste sie meine Hüfte, ich legte den Arm um sie, und wir schlenderten in aller Unschuld durch das pittoreske Dorf, in dem dieses Seminarhotel sich angesiedelt hatte.
    Es war Sommer. Um diese späte Uhrzeit war niemand mehr unterwegs. Um uns herum lagen die Weinberge im Mondschein. Stille. Und ihre Stimme – hoch, frei und warm. Auf dem Rückweg sagte sie plötzlich, ein wenig scheu vor sich hin sprechend: „Schlaf bei mir. Bitte!“ Es lag darin viel kindlicher Wunsch, aber auch eine verhaltene Erotik. Wir hatten eine Menge des ortsüblichen Weins getrunken, es war drei Uhr in der Nacht. Und ich wollte sie zwar, aber nicht unter der Bedingung sexueller Aktivität. Ich wollte nichts weiter als mit ihr einschlafen, sie neben mir wissen und ihre warme

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