Variationen zu Emily
in den Knast, das wäre meine Art, mit ihnen umzugehen. Übrigens, wie findest du mein Hemd? Das hatte ich an dem Abend an. Habe ich mir flicken lassen. Schöne Nähte an der Stelle, wo er es zerschnitten hat. Ich finde es klasse. Vielleicht ein neuer Modetrend. Die zerrissene, aufgeschlitzte Kleidung von Mordopfern als Designerklamotten. Würde gut in die heutige Zeit passen, wo jeder Dreck aus den Slums automatisch in den Boutiquen landet. Vielleicht eine neue Geschäftsidee. Komm, daraus machen wir etwas.
Ah, endlich! Zum Wohl, mein Lieber. War wirklich ein Scheißtag heute. Da habe ich mir ein paar Liter ehrlich verdient. Der Chef ist nämlich sauer auf mich. Meine Texte gefallen ihm nicht mehr. Unter uns: Mir auch nicht. Ich sei nicht mehr mit dem Herzen dabei, sagt er. Es fehle mir an Inspiration, die auch ein Zeitungsschreiber haben müsse. Es wäre in letzter Zeit reines Handwerk gewesen, was ich abgeliefert hätte. Was ist an gutem Handwerk Schlechtes, frage ich dich. Zumal es das immer seltener gibt. Aber es reicht ihm nicht. Wir hätten einen Ruf zu verlieren, meint er. Alles, was ich dazu zu sagen habe, ist: Mir macht es ja auch keinen Spaß mehr. Das kennst du als Künstler doch bestimmt auch. Du machst etwas, aber du langweilst dich dabei, weil es nicht das ist, was du eigentlich willst. Du kannst ja wenigstens herumprobieren. Schauen, ob sich eine Idee entwickeln lässt. Bei mir ist das anders. Ich muss ein inspiriertes, halbwegs klug daherkommendes und gut zu lesendes Stück Text fristgerecht abliefern, sonst schmeißen sie mich raus.
Was macht der Gute also? Er läss t mich die Presseinformationen der letzten Woche lesen, die uns die PR-Agenturen klafterweise per Post, Fax und E-Mail in die Redaktion liefern. Ich soll schauen, ob irgendetwas Interessantes dabei ist. Ist natürlich nicht. Nur eine in journalistischer Hinsicht schlecht gemachte Beweihräucherung von Produkten, Firmen und Leuten. Normalerweise landet das Zeug sofort im Papierkorb. Aber alle paar Monate wird gesammelt, und dann setzt er einen von uns daran, die Papierberge zu sichten. Er hofft auf einen zufällig auftauchenden Knüller, das musst du dir vorstellen. Unter diesem notdürftig als Pressetext verkleideten werblichen Schmutz, der oft genug mit Lieber Kollege eingeführt wird. Kollege! Diese gekauften Wochenendschreiber sind nicht meine Kollegen!
Ich habe ihm den Gefallen getan und ein paar Sachen in seine Mappe gelegt. Soll er sich damit herumschlagen. Sind ein paar nette Exemplare dabei. Rechtschreibung – nein. Kommasetzung – nein. Journalistische Konventionen – nein. Neuigkeitswert – nein. Allgemeines Interesse – nein. Und so weiter. Entschuldige, das macht mich wirklich wild. Da lese ich ja Karl May noch lieber, diesen verquasten Märchenerzähler. Der konnte wenigstens ganze Sätze schreiben.
Aber was solls. Lass uns noch zwei bestellen, oder? Wie sprichst du den Knaben an? Karl? Karl, bitte noch zwei. Danke. Komm, nimm doch von meinen. Ich habe heute mal die Filterlosen gekauft. Reminiszenz an alte Zeiten. Schmeckten allerdings damals noch wesentlich kräftiger. An diesem Duft konnte man erkennen, ob Individualisten anwesend waren, weißt du noch? Unsere streng riechenden Franzosen. Die Frauen mochten sie zwar nicht, fanden uns aber toll, weil wir dem allgemeinen Trend etwas Eigenes entgegensetzten. Und dazu kamen die kulturellen Assoziationen. Jean Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Marcuse, Genet. Zeug, das heute wahrscheinlich kein Mensch mehr liest.
Ich übrigens auch nicht. Kann diesen Existenzialistenscheiß nicht mehr riechen. Diese oberklugen Kritiker der Bürgergesellschaft, die sich von den reichlich fließenden Tantiemen ihrer schlecht geschriebenen Werke eine luxuriös ausgestattete Bürgerexistenz aufbauten. Ein wenig an den damaligen Tabus gewackelt – und schon florierte die vom kritisierten Bourgeois finanzierte Großdenker-Existenz.
Nein, das ist nicht dein Ernst. Sartre findest du immer noch gut? Der Ekel? Ja, vielleicht das noch. Hübsch düster. Ein wenig wie der Steppenwolf, oder? Na, egal. Ich fühle mich bei den weniger politisierten Autoren besser aufgehoben. Ideologie in Form von Romanen ödet mich an. Fast so schlimm wie die Pressemitteilungen von PR-Agenturen. Nur dass diese aussterbende Art von Schreiberlingen keine Produkte verkaufen will, sondern verrottete Ideen. Ramsch, Worte, Leere. Agitatoren, das sind sie. Das haben sie anscheinend in ihrer Jugend gelernt. Die leben noch
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