Variationen zu Emily
durch die Menge zum Ausgang treiben. Ich hoffte, sie dort noch anzutreffen. Aber sie war wirklich gegangen.
Wir wissen beide, wie es auf solchen Festen ist. Man vergafft sich in ein Gesicht, in einen schönen Körper, nimmt Kontakt auf und verliert alles wieder. Es bleibt das Gefühl, zu wenig investiert, zu wenig unternommen zu haben. Was, wenn ich sie festgehalten hätte? Was, wenn ich mit ihr gegangen wäre? Also rechnete ich nicht mit ihrem Anruf. Aber er kam. Nur drei Tage später klingelte abends das Telefon: Ich bins, Tina. Na, hast du noch allein nach Hause gefunden? Du warst ja ganz schön angetrunken. Sie machte es mir leicht. Sie war offen, sehr freundlich und alles andere als scheu. Also fragte ich gleich: Wann sehen wir uns wieder? Sie lachte: Du bist schnell, nicht wahr? Also, in dieser Woche geht es nicht. Montag – nein, Montag geht auch nicht. Wie wäre es mit Mittwoch abend? Klar, Mittwoch ging. Gut, dann hol mich bitte um acht Uhr ab. Es folgte eine Straße, eine Hausnummer und ein Nachname. Bis dann, ciao. Und sie legte auf.
Mann, dachte ich, die ist wirklich cool. Kein Geplauder, kein Interesse an Einzelheiten aus meinem Leben, kein Abklopfen der Möglichkeiten. Du willst mich sehen? Gut. Hol mich ab. War ich so unwiderstehlich für sie? Trotz meiner gesunden Eitelkeit erschien mir das unwahrscheinlich. Ich hatte doch eine eher lächerliche Figur abgegeben. Komisch. Prost. Ich bestelle uns noch eins, oder? Karl!
Ich holte sie also ab. Sie war wirklich sehr schön, schon fast lieblich. Ein schlanker, sportlicher Mädchenkörper, obwohl sie die dreißig schon überschritten hatte. Du weißt sicher, was ich meine. Zart und gleichzeitig fest, harmonische Bewegungen und sehr viel Anmut. Sie kam kurz nach meinem Klingeln aus dem Haus, hakte sich bei mir ein und ging mit mir in den Schwan. Weißt du noch, oder? Dieses Ding mit dem Schummerlicht und mittellauter Rockmusik, wo damals hin und wieder lokale Bands auftraten. Heute steht das Haus leer, der Pächter hat wohl pleite gemacht. Oder es gibt vielleicht auch kein Publikum mehr dafür, was weiß ich.
Sie redete gern. Ich ließ sie erzählen von ihrer Familie, von ihrer Trennung, von ihrem Leben. Ich fand es interessant, und es störte mich an diesem ersten Abend überhaupt nicht, dass ich in diesem Gespräch kaum vorkam. Sie fragte mich nichts. Manchmal, wenn sie eine Pause machte, warf ich ein paar Sätze ein, die mir zu passen schienen, weil sie ihre Gedanken vielleicht weiterspannen und sie zur Fortsetzung ihres Monologs ermunterten. Sie war so entwaffnend offen, dass ich nicht unterbrechen wollte. Sie ging so weit, mir von ihrem Mann zu erzählen, der jeden Tag mit ihr hatte schlafen wollen. Wie oft brauchst du das, war eine der wenigen Fragen, die sie mir stellte.
Ihre sexuellen Bedürfnisse waren nach der Geburt des zweiten Kindes weitgehend eingeschlafen. Daher begann sie, sich zu entziehen. Die übliche Eskalation im Rahmen einer Ehe, die auf Missverständnissen beruht. Erst das gutwillige Mitmachen, weil man nun mal verheiratet ist und dem anderen nicht wehtun will. Dann das sanfte Verweigern mit Ausflüchten wie Kopfschmerzen, wirklich müde, harte Woche, das Einsetzen der Menstruation und so weiter.
Es folgen zunehmend wütende Szenen, zeitweilige Zerwürfnisse und schließlich getrennte Schlafzimmer. Dann hat der Mann eine Freundin, was ja noch zu ertragen wäre, wenn er damit nicht immer so vorwurfsvoll argumentieren würde: Nur deinetwegen. Dann ist er nächtelang weg, vernachlässigt zugunsten seiner Freundin die Kinder und flüchtet sich in einen geschäftsmäßigen Ton. Und zum guten Ende stellt sie fest, dass sie unter Liebe eigentlich etwas ganz anderes verstanden hat als er. Nämlich die romantische, platonische Variante: immer für dich da, nur um dein Glück und vor allem das der Kinder besorgt.
Weißt du, sagte sie, wir hatten diese beiden Kinder. Die waren mit ihren Krankheiten, ihren Sorgen und ihren kleinen Gedanken doch wirklich Aufgabe genug. Was wollte er da noch mit unnötigen Dingen wie Sex? Mit seinem lächerlichen Orgasmus? Ich hatte dafür einfach keinen Kopf – es gab so viel anderes zu bedenken. Und wenn der Tag zu Ende ging und alle Erfordernisse zunächst erfüllt schienen, wollte ich nur noch mit Freunden plaudern, fernsehen oder lesen oder einfach bei einem Glas Wein und einer Zigarette mit ihm vor dem Kamin zusammensitzen. Danach blieben ihr nur noch wenige Stunden, um sich schlafend auf den nächsten
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