Varus - Historischer Roman
hatten, entdeckten sie da und dort Spuren der Aufständischen, hörten Reitertrupps
und kleine Rotten Fußvolks, vor denen sie in den Schutz der Büsche und Bäume flüchteten.
Thiudgif und Amra, die Sura bei den Händen genommen hatten, rannten den anderen nach, hielten aber Abstand, nachdem sie schon einige Male mit Ästen und Erdklumpen beworfen worden waren.
»Schlechte Weiber sind das!«, wurde Amra nicht müde zu betonen. »Wir sollten ihnen nicht folgen.«
Thiudgif hatte längst aufgegeben, ihr verständlich zu machen, dass sie allein weitaus mehr zu befürchten hätten, und ertrug Amras Murren ebenso wie das ausdauernde Jammern ihrer Tochter mit einer Geduld, die sie selbst verwunderte. Das Laufen, das ständige Sichern, die Angst, die ihr bei jedem umherhuschenden Schatten, jedem Hufschlag, jeder menschlichen Stimme kalten Schweiß aus allen Poren trieb, beschäftigten sie so sehr, dass sie die Klagen der beiden kaum mehr wahrnahm.
Sie schlüpften zwischen den dornigen Hecken hindurch, als sich eine Frau Thiudgif in den Weg stellte, mit der sie beinahe zusammengeprallt wäre.
»Macht, dass ihr wegkommt!«, zischte die Frau und starrte sie aus dunklen Augen wild an. »Ihr seid nicht eingeladen!«
Flink schielte Thiudgif an ihr vorbei, sah die Frauen umherhuschen zwischen den Sträuchern, die glänzend hellroten Beeren aus dem Gezweig zupfen und in ihren geschürzten Röcken sammeln.
»Zu diesem Mahl will ich gar nicht eingeladen sein«, entgegnete sie ruhig.
Ein Schatten flog über das Gesicht der Frau, die sicherlich schon mehr Sommer als Amra erlebt hatte. »Was soll das bedeuten?«
»Dass ihr diese Früchte pflückt und essen wollt, zeigt, dass ihr in diesen Wäldern nicht überleben werdet.«
Die Frau ballte ihre Hände zu Fäusten, wischte sie an ihrem einst bunten, jetzt schmutzigen und zerschlissenen Kleid ab.
»Was weißt du denn schon?«, schnappte sie.
»Mein Name ist Thiudgif, Tochter des Sahsmers vom Volk der Brukterer. Ich lebe in einem Dorf an der Lupia, und meine Mutter lehrte mich, die Früchte des Waldes zu erkennen, die essbaren und die giftigen. Diese da«, Thiudgif wies auf die Hecken, »sind giftig und werden euch in leichte Beute verwandeln.«
Eine der Frauen ließ den Zipfel ihres Rockes los, sodass die glänzenden Beeren auf den dunklen Waldboden prasselten. Thiudgif schaute sich um, musterte aufmerksam das faulende Reisig auf der Erde, das sanfte Gefälle, den Einschnitt, hinter dem sie eine Talsenke vermutete.
»Du lügst«, sagte die erste Frau, wobei ihre Stimme ein wenig zitterte.
»Es bleibt euch überlassen, ob ihr mir glaubt oder nicht. Ich jedenfalls werde von diesem Zeug nichts nehmen.« Sprach’s und zog Sura mit sich, vorbei an den Hecken voller verlockender Beeren.
»Wir sollten an dir erproben, ob das, was du behauptest, wahr ist!«
Die Frau war ihr nachgerannt, hatte sie am Arm gepackt, doch anstelle von Beifall erntete sie eine klatschende Ohrfeige von Amra, die sie obendrein aus dem Weg stieß. Zu dritt gingen sie weiter, und alle Augen waren auf sie gerichtet. Diejenige, die ihre Beeren hatte auf den Boden fallen lassen, folgte ihnen als Erste, ein junges Ding mit Stupsnase und zwei dünnen braunen Zöpfen. Thiudgif sah sich nicht um,
aber sie hörte, dass die Frauen sich ihnen anschlossen, und staunte über die Wirkung ihrer wenigen Worte.
Der Einschnitt war tatsächlich das Ende eines Nebentals, aus dem feuchten Grund sickerte ein dünnes Rinnsal, vom Regen der vergangenen Tage gespeist. Vorsichtig ging sie dem Wasser nach, immer darauf bedacht, nicht auszurutschen, während der Wald dichter und dunkler wurde. Kalter Dunst schwebte zwischen den Baumstämmen und behinderte die Sicht. Das Rinnsal verbreiterte sich, Wasser hüpfte über Wurzelwerk, über ein helles sandiges Bett, tiefgrüne Pflanzen und Gras wucherten an den Ufern. Überall lag Reisig verstreut. Hier wohnten seit mehreren Monden, sicher seit dem Sommer, auf eine halbe Tagesreise keine Menschen mehr, denn die hätten alles Brennholz aufgelesen und in ihre Häuser getragen.
Der Bach verband sich mit einem zweiten, das Tal wurde weiter und heller, Sträucher säumten den Hang, Sträucher mit dunkelgrünen fedrigen Blättern und klumpigen schwarzen Früchten. Thiudgif blieb stehen und deutete auf die Sträucher. Die Frauen schrien leise auf und stürzten sich geradezu auf die Büsche, als sie die Brombeeren erkannten, deren latinischen Namen Thiudgif nicht wusste.
Auf der Auwiese, wo
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