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Varus - Historischer Roman

Titel: Varus - Historischer Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Kammerer
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und Schande bewahrt habe, indem er sie, Thiudgif, die Tochter des Sahsmers, aus der Gewalt eines Sklavenhändlers befreit und beschützt habe, und sie flehte die Ahnen an, ihn unversehrt entkommen zu lassen. Warm stieg ihr das Blut in die Wangen, als sie erkannte, dass sie für ihn eine Sorge empfand, die nur der eigenen Familie zustand, Eltern, Brüdern und Schwestern, den eigenen Kindern - und dem Mann, dessen Kinder das waren. Hastig beendete sie ihr Gebet, bedeckte die Opfergabe mit dem zweiten Blatt und zerquetschte die Früchte, um sie für jeden Menschen ungenießbar zu machen.
    Amra nickte und ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, als Thiudgif zu ihr und Sura zurückkehrte; das Mädchen schien sie nicht zu bemerken, sondern schaute unverwandt in den Wald hinauf. Beim zweiten Hinsehen bemerkte Thiudgif, dass Sura wie erstarrt dasaß.
    »Fehlt dir etwas?«, fragte sie, doch Sura rührte sich nicht. Unentschlossen folgte Thiudgif mit den Augen ihrem Blick und lauschte; dass auch Amras Aufmerksamkeit geweckt war, nahm sie nur am Rande wahr.
    Sie ahnte die Bewegung mehr als sie zu sehen, das leise
Knacken brechenden Reisigs war jedoch nicht zu überhören. Dann sah sie den Schatten, halb von einem Baumstamm verborgen.
    Rasch tastete sie nach dem Dolch an ihrer Seite, berührte Sura am Arm und gab ihr durch ein Nicken zu verstehen, nicht so auffällig in den Wald zu starren. Das Mädchen zog die Schultern hoch, gehorchte aber.
    »Da oben versteckt sich jemand«, flüsterte sie Amra zu, die eine Hand vor den Mund schlug und sie erschrocken anstarrte. Thiudgif legte einen Finger auf ihre Lippen.
    »Wenn ich dir ein Zeichen gebe, stehen wir auf und gehen zu den anderen. Ohne uns umzusehen. Als hätten wir nichts bemerkt. Einverstanden?«
    »Und wenn das ein Späher der Aufständischen ist?« Amras Stimme klang erstickt.
    Thiudgif grub die Zähne in ihre Unterlippe, während sie sich mit einem raschen Wink erhob. Sie nahmen Sura in die Mitte und näherten sich den anderen Frauen, die verwundert dreinschauten, als Thiudgif sie mit eindringlichen Handzeichen zu bewegen suchte, ihr zu folgen.
    »Genug gebummelt!«, rief sie und bemühte sich, ihre Stimme unbeschwert klingen zu lassen. »Wir brechen auf!«
    Sie ging mit Amra und Sura ein Stück voraus, äugte nach dem Waldrand, wo nichts zu sehen war, keine Regung, kein Schatten. Die Frauen klopften ihre Kleider ab, plauderten ahnungslos und kicherten.
    »Führe sie den Bach entlang - leise und vorsichtig!«, flüsterte Thiudgif Amra zu und reichte ihr ihren durchfeuchteten Umhang, der ohnehin keinen Schutz bot. »Wenn die Lichtung außer Sichtweite ist, lauft ein Stück. Und sieh dich um nach einem guten Versteck! Dickicht, vielleicht ein Fels überhang oder ein umgestürzter Baum.«

    Amra packte sie am Arm. »Woher willst du wissen, dass uns das rettet?«
    »Jedes Mädchen in diesem Land lernt, wie es sich vor streunenden Banden verstecken kann«, erwiderte Thiudgif leise, damit die anderen es nicht hörten. »Wir müssen in die Wälder, um Holz und Farn, Pilze und Früchte zu sammeln. Und für viele junge Herren ist es ein Spaß, uns dort mit ihren Freunden aufzulauern.«
    Unwillig schüttelte Amra den Kopf und eilte den anderen Frauen voraus, während Thiudgif nach einem Weg in das Unterholz spähte, als ihr ein Gedanke kam.
    »Wenn ich pfeife«, sagte sie gerade so laut, dass Amra sie verstehen konnte, »dann kommst du zu mir.«
    Amra nickte wortlos, und die Frauen zögerten weiterzugehen, als Thiudgif sich nach wenigen Schritten in den Wald schlug. Sie machte ein Zeichen, austreten zu müssen, schlich im Schutz der Hecken gebückt den Hang entlang, bis sie die Senke, die der Bach bildete, überblicken konnte. Geschützt von ihrer verschmutzten, ohnehin bräunlichen Kleidung hielt sie Ausschau und erschrak, als sie einen Mann herabkommen sah, der den Spuren der Frauen folgte. Als sie jedoch bemerkte, dass er einen kurzen Kapuzenumhang und darunter eine helle, wenn auch schmutzstarrende Tunica trug, entwich ihr ein erleichterter Seufzer. Selbst der zweite, an seiner Kleidung ebenso als römischer Flüchtling erkennbare Mann, der ihm mühsam nachhinkte, jagte ihr keine Angst mehr ein. Sie ließ die beiden vorbeilaufen, sah, dass der Verletzte deutlich jünger war, vernahm einige Fetzen ihres Wortwechsels, aus dem die Hoffnung klang, sich den anderen anzuschließen. So leise wie möglich huschte sie zu der Stelle zurück, an der sie ins Unterholz geeilt war, und

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