Varus - Historischer Roman
er gegen die beiden an, aber vergeblich. Er hatte es geahnt, hatte diesen Augenblick kommen sehen, aber dem räudigen Verräter gegenüberzustehen, war unerträglich. Einer der Kerle griff in Caldus’ Haar und zerrte ihm den Kopf in den Nacken, wollte ihn zwingen, Arminius aus dieser unwürdigen Haltung anzusehen, doch Caldus heftete den Blick stattdessen auf die Falten des Vorhangs.
»Lasst ihn los!«, sagte Arminius kühl. »Wenn es sein muss, werde ich schon mit ihm fertig.«
Mit einem Stoß gaben sie Caldus frei, sodass er strauchelte und beinahe gestürzt wäre. Der Zelteingang schleifte hörbar über den Boden. Hastig richtete Caldus sich auf, spürte den schier unbeherrschbaren Drang, sich auf den großen, breitschultrigen Mann mit den kurzen nassdunklen Locken zu stürzen. Außer ihm und Arminius, der mit einem wohligen Laut sein Haar trocken rieb, befand sich niemand mehr
in diesem Zelt. Zumindest nicht im vorderen Teil, den zwei Kandelaber erleuchteten. Caldus starrte vor sich hin, die Lippen fest zusammengepresst.
Unversehens ruhte Arminius’ Blick auf ihm, ein Lächeln, das ein wenig schief geraten war, kräuselte die Lippen in dem glatt rasierten Gesicht.
»Du siehst schlecht aus, Gaius Caelius.«
Arminius wischte mit dem Tuch über seine Arme, ehe er es hinter den Vorhang warf; als das Tuch flink aufgehoben wurde, erkannte Caldus, dass sie nicht allein waren.
»Ich bedaure, dass wir uns unter diesen Umständen wieder begegnen«, fuhr Arminius fort. »Auch ich hätte mir eine angenehmere Gelegenheit gewünscht, aber dazu ist es jetzt zu spät.«
Mühsam zwang Caldus sich zu schweigen, presste die kalten Hände an die Lederstreifen seines Waffenrocks, um das Zittern zu unterdrücken, das ihn befallen hatte, so loderte der Zorn in ihm.
»Ich wollte dichkennen lernen, Gaius Caelius. Immerhin hättest du beinahe dafür gesorgt, dass wir -«
»Wohl wahr!«, platzte Caldus heraus. »Beinahe hätte ich deine Pläne vereitelt, ehe du sie durchführen konntest!«
Arminius lachte leise. »Du hättest nicht viel vereiteln können, nur einen kleinen Teil des Plans. Der Vogelleim war gelegt, das Netz ausgespannt.«
»Glaubst du etwa, der Statthalter hätte den Marsch fernab der Lupia und der schützenden Lager fortgesetzt, wenn er gewusst hätte, dass du und andere gegen ihn eine Meuterei ausgeheckt hatten und die Legionen ein Hinterhalt erwartete?«
Beharrlich erwiderte Caldus den brennenden Blick, der ihn versengen wollte, dann abkühlte.
»Es ist bedauerlich, dass ich niemals in den Genuss deines Rates kommen werde«, sagte Arminius überraschend freundschaftlich. »Schließlich ist die Klugheit ein Gewächs, das bei guter Pflege über lange Zeit prächtige Früchte trägt für den, der es pflanzt, ebenso wie für den Herrn des Gartens. Aber es ist zu spät, Gaius Caelius.« In einer übertriebenen Geste der Hilflosigkeit hob Arminius die Arme. »Varus’ Legionen sind geschlagen. Völlig geschlagen. Die Soldaten haben sich verschanzt, so gut sie das noch können, und warten darauf, dass der Statthalter sich uns ergibt. Wir beschäftigen sie ein wenig mit Pfeilen und Spießen, damit sie nicht vergessen, dass ihr Schicksal besiegelt und ihre Niederlage vollkommen ist.«
Caldus kämpfte mit der Übelkeit, die in ihm aufstieg. Dass der Verrat obendrein durch einen Sieg belohnt worden war, nahm ihm jede Kraft, als hätte ein zuvor eingeflößtes Gift begonnen, seine Wirkung zu tun. Er schloss die Augen, um den Schwindel zu dämpfen.
»Also brauchst du jemanden, der deine Unterhändler begleitet, jemanden, dem Varus vertraut, wenn es um die Bedingungen des Abzugs geht«, erwiderte er.
Arminius sah ihn an, in den Augen lag etwas, das wie leises Bedauern wirkte, und er schüttelte den Kopf. »Es wird keinen Abzug geben, Gaius Caelius.« Und als spürte er Caldus’ Befremden, fügte er hinzu: »Ihr seid einem Gott geweiht.«
Caldus spürte, dass ihm das Blut aus dem Gesicht wich, und in seinem Leib schien ein lärmender Möwenschwarm aufzuflattern. Er erinnerte sich an die Erzählung eines alten Centurios, vor langer Zeit hätten zwei verfeindete Barbarenstämme um eine Salzlege gestritten, und da sie sich nicht hätten einigen können, sei es zu einer Schlacht gekommen, die an Grausamkeit alles überboten habe, was je geschehen
sei. Denn beide Stämme hätten demselben rasenden Gott das jeweils feindliche Heer bis auf den letzten Mann als Opfer gelobt.
»Wenn wir uns ein wenig ausgeruht haben,
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