Varus - Historischer Roman
Quinctilius«, erwiderte Caelius vorsichtig. »Auf dem Marsch sind solche Annehmlichkeiten nicht angebracht.«
»Ich verstehe, dass du deinen Soldaten ein Vorbild sein willst.«
Caelius verkniff sich ein Grinsen, denn weit mehr als den Unwillen der Soldaten fürchtete er Verstimmungen in seinen Eingeweiden.
»Es ist mein Wunsch, dass du noch länger Soldaten ein Vorbild bist«, fuhr der Statthalter fort und hob seinen Becher.
»Wenn ich die Wahl habe, Publius Quinctilius, möchte ich bitten, dieses großzügige Angebot ablehnen zu dürfen.«
»Sogar wenn du zum Lagerpraefecten ernannt würdest?«
Zunächst hielt Caelius den Atem an. Obwohl das Angebot keineswegs überraschend war und auch das übliche Maß nicht überstieg, wollte er diesen Augenblick genießen, und entließ langsam die Luft zwischen den Lippen, während er den aufmunternden Blick des Statthalters erwiderte. Varus gehörte nicht, wie seine Vorfahren, zu den wirklichen Feldherren, die ihre Verdienste auf Kriegszügen erworben hatten. Sein Vater hatte nach dem endgültigen Sieg des Erben Caesars den Tod gesucht, doch der Sohn war klug genug, sich vom leise schwelenden Widerstand fernzuhalten und an seinem Aufstieg zum Consul zu arbeiten. Caesar Augustus hatte ihn als Statthalter in den Osten des Imperiums geschickt. Dort hatte er zwar Aufstände niedergeschlagen, aber das schien er nicht als Ruhmestat anzusehen, denn er machte nicht einmal Andeutungen darüber. Varus bevorzugte es, anstelle der Waffen das Recht sprechen zu lassen. Wenn Caelius in diese Beförderung einwilligte, würde er noch einige ruhige Jahre mit einer anspruchsvollen, aber einträglichen Tätigkeit im Stab einer Legion in einer befriedeten Provincia verbringen.
Doch er wurde nicht jünger. Er spürte seine Knochen inzwischen viel zu oft, schon wenn er morgens aufstand, plagten ihn die Knie. Und er verlöre den Anspruch auf das Landgut bei Luceria, ebenso den auf das Nachbaranwesen, das durch Heirat in seinen Besitz kommen sollte.
Caelius leerte den Becher, ließ ein paar Trauben in den Mund rollen und biss dann vorsichtig in eine Birne, die sich als erfreulich süß und weich erwies.
»Es eilt nicht mit der Entscheidung«, fuhr der Statthalter
fort. »Wenn du mir nach unserer Ankunft in Vetera Bescheid gibst, soll es mir recht sein.«
»Ich danke dir für deinen Großmut, Publius Quinctilius.« Caelius verneigte sich, so weit es ihm auf der Kline möglich war. »Über das Angebot werde ich nachdenken, aber ich bin ein alter Mann.«
»Weit gefehlt!«, rief Varus. »Sieh mich an! Ich bin so alt wie du und habe vor einigen Jahren eine edle junge Frau geheiratet, die mir inzwischen einen prächtigen Jungen geschenkt hat.«
»Das bliebe mir verwehrt, denn wenn ich dein Angebot annähme, müsste ich mein Vorhaben ändern.«
»Und wie sollten denn auch einige weitere Jahre in Feld und Lager die Aussicht auf Landbesitz überglänzen!« Ein mildes Lächeln umspielte Varus’ Lippen, als er den Becher hob und Caelius zutrank.
Der Morgen war kalt, und auf den Grasbüscheln, die aus den Rissen im festgestampften Lehm der Straße sprossen, glitzerte der Tau. Thiudgif rieb ihre Oberarme und richtete den Blick nach oben, wo ein grauer Dunstschleier den Himmel verhüllte. Von den Lagermauern tönten einzelne kurze Tonfolgen, die sie von den glänzenden, rundgebogenen Bronzeinstrumenten kannte. Vom Hang her hörte sie Hundegebell, dann brüllte ein Mann und das Tier verstummte mit einem Japsen.
Thiudgif zog sich ins Haus zurück und drückte die Tür zu. Sofort war sie umhüllt vom abgestandenen Geruch nach gekochtem Kohl, Zwiebeln und Kümmel, dem gestrigen Essen.
»Wird es regnen?«, tönte Amras dunkle Stimme aus der Stube, wo sie klappernd ihre letzten Habseligkeiten - hölzerne
Näpfe und die wertvollen Bronzetöpfe - verstaute. Als sie mit einem großen Beutel auf den halbdunklen Gang hinaustrat, schüttelte Thiudgif den Kopf, bevor die Hausherrin ihre Frage wiederholte.
»Gut.« Amra wandte dem Mädchen den Rücken zu, über den ein armdicker schwarzer, von grauen Strähnen durchzogener Zopf hing. Sie stellte den Beutel auf den Boden und betrat die Kammer, in der Thiudgif zusammen mit Amras halbwüchsiger Tochter Sura und einer zahnlosen, dicken Magd nächtigte. Bald darauf erklang das leise Murmeln der Herrin, unterbrochen vom hellen Flüstern und Schniefen des Mädchens. Obwohl die Sprache, die Mutter und Tochter benutzten, ähnliche Laute hatte wie die der Stämme,
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