Varus - Historischer Roman
zum Tor, dessen hohe hölzerne Flügel langsam nach innen schwangen und den Blick freigaben auf eine von Fackeln gesäumte Straße. Scheu unter ihrem weit in die Stirn gezogenen Kopftuch hervorblinzelnd beobachtete Thiudgif den Mann, mit dem Amra wohl reden sollte. Er schritt hinter zwei Fackelträgern die in den Wall geschnittene Treppe hinunter, bekleidet mit einem weißen Rock unter dem ebenso weißen Umhang, den er über die Schultern zurückgeworfen hatte. Ihm folgte eine Schar weiterer Männer, darunter einige ältere, in denen Thiudgif Centurionen erkannte und einen der Lagerpraefecten, die gelegentlich den Tross in Augenschein nahmen.
Wenige Schritte vor dem Legaten, der sich mit verschränkten Armen am Fuß des Walles aufgebaut hatte, blieb Amra stehen und verneigte sich ehrerbietig, was Thiudgif ihr gemeinsam mit Sura nachtat.
»Mit wem habe ich das Vergnügen?«, begann der Legat herablassend.
»Flavia Amra, Frau des Gefreiten Lucius Statilius, zugeteilt dem Lagerpraefecten der Siebzehnten Legion, Lucius Eggius.«
»Du kennst mich also, Amra«, erwiderte der Legat. »Du genießt großes Vertrauen und Ansehen bei den Leuten da draußen, wenn sie dich auffordern, für sie zu sprechen. Wenn du dich fürchtest, das zu tun, lasse ich deinen Mann rufen, damit er dir beisteht.«
»Es ist nicht nötig, die Ruhe meines Mannes zu stören, Quintus Numonius«, entgegnete sie. »Ich fürchte keinen Menschen, sondern nur Gott allein.«
Der Legat wölbte die Brauen und musterte die Frau eindringlich. »Du bist aus dem Osten, vermute ich.«
»Meine Familie stammt aus Tarsos, und mein Vater ist römischer Bürger.«
»Das erklärt zumindest teilweise, warum sie dich ausgewählt haben. Ich habe erfahren, dass zwei Frauen vermisst werden und ein Wagen in Brand geraten ist. Und nun sage du mir, was ihr damit erreichen wollt, dass ihr vors Lagertor gezogen seid.«
Amra senkte einige Atemzüge lang den Kopf, was Thiudgif, die hinter ihr stand, Gelegenheit gab, den Legaten unauffällig zu beäugen. Er war nicht groß, wie die Römer überhaupt etwas kleiner waren als die Männer der Stämme, dunkles Haar und dunkle Augen verrieten seine Herkunft aus den reichen Ländern jenseits der fernen Schneegebirge. Vom Halssaum des weißen Hemdes liefen zwei breite rote Streifen herab, und ein Band von gleicher Farbe war um seine Brust geschlungen. Den Gürtel zierten kostbare Silberbeschläge, ebenso die Lederstreifen, die von diesem Gürtel herabhingen. Doch trotz dieser Pracht musste Thiudgif sich auf die Lippen beißen angesichts der knochigen Knie und der dünnen Waden, die unten aus dem Rock herauslugten und in roten Lederstiefeln steckten.
Schließlich straffte Amra sich wieder. »Viele sind in Angst, Quintus Numonius. Es gehen Gerüchte, dass sich ringsum Feinde verbergen. Die Menschen wollen in den Schutz des Lagers aufgenommen werden.«
»Du weißt, dass das nicht möglich ist. Zum einen dürfen wir keine Frauen aufnehmen, zum anderen können wir das Marschlager jetzt nicht mehr umbauen, doch genau das wäre nötig, um euch unterzubringen.«
Amra räusperte sich leise. »Wäre es möglich, Wachmannschaften abzustellen, um den Leuten das Gefühl zu geben, unter eurem Schutz zu stehen?«
Als der Legat zunächst keine Antwort gab, zog Thiudgif die Schultern hoch in Erwartung eines Donnerwetters, aber als sie unter dem Rand ihres Kopftuches nach ihm spähte, rieb er sich nachdenklich das Kinn.
»Das ist ein kluger Vorschlag, Amra«, sagte er schließlich. »Immerhin sind viele von denen, die außerhalb von Wall und Graben nächtigen, Angehörige von Soldaten. Wenn die Männer in Sorge geraten, greift die Unruhe auf das Lager über.«
Amra nahm die Anerkennung mit einer leichten Neigung des Nackens entgegen und dankte, indem sie das Knie beugte. Vala trat beiseite und winkte einige der Offiziere zu sich, sprach unhörbar mit ihnen. Besorgt beobachtete Thiudgif, wie der eine energisch den Kopf schüttelte und ein anderer abwehrend mit den Händen wedelte, während ein dritter unschlüssig die Schulter zuckte. Sie versuchte in den Mienen zu lesen, doch die Entfernung war zu groß und die meisten wandten ihr nicht das Gesicht zu.
»Was geschieht dort?«, flüsterte sie Amra zu.
»Das siehst du doch. Sie beraten sich, wie sie mit der Lage umgehen.«
Neben ihr stammelte Sura mit erstickter Stimme unverständliche Worte in ihrer Sprache, tastete nach Amras Mantel, krallte ihre Finger in den Stoff, bis die Mutter sie in
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