Varus - Historischer Roman
ihre Arme zog und unter beruhigendem Murmeln ihre zitternden Schultern streichelte. Verärgert zog Thiudgif die Brauen zusammen. Amra hätte dieses kleine Mädchen jemandem anvertrauen sollen, statt sie mitzubringen. Sura war zu scheu, geriet zu schnell in Angst. Es war wunderlich, dass die tapfere Amra und ihr Mann, der sich jeden Tag ein wenig Zeit nahm, um nach seiner Familie zu sehen, ein solch furchtsames Kind hervorgebracht hatten. Andererseits war Thiudgif
immer wieder aufgefallen, dass Statilius seine Tochter verhätschelte und Amra ihn deshalb schalt.
Das Geräusch von Schritten ließ Thiudgif aufblicken. Einer von den jungen Männern aus Valas Gefolge kam auf sie zu, während der Legat selbst Amra aus der Ferne einen stummen Gruß sandte und dann die von Fackeln gesäumte Lagerstraße hinaufging.
»Quintus Numonius hieß mich dir mitzuteilen, dass Wachmannschaften zu eurem Schutz abgestellt werden«, sagte der junge Mann, ohne sich vorzustellen. »Beruhige jetzt die anderen und kehre mit ihnen zu euren Wagen zurück.«
Die Hände im Nacken verschränkt, lag Thiudgif auf der Ladefläche des Wagens und lauschte in die Dunkelheit. Neben ihr atmeten Sura und Amra leise und gleichmäßig; und gelegentlich erhaschte sie das gedämpfte Rasseln einer Rüstung, die fernen Stimmen der Wachtposten und das Schnauben eines Maultiers. Von Zeit zu Zeit fuhr eine Windböe unter die Lederplane, dass diese sich blähte. Thiudgif konnte den bevorstehenden Regen riechen und nagte missmutig an der Unterlippe. Es würde ein unwirtlicher Tag werden, ein weiterer Marsch durch kalten Morast, in schwerer, durchnässter Kleidung. Neben ihr regte sich Sura, schmiegte sich leise murmelnd an sie. Das Mädchen tat ihr leid, obwohl es den halben Tag auf dem Wagen sitzen durfte.
Dieses Mädchen würde seinem Mann einmal keine Hilfe sein. Oder sie würde es unter Tränen lernen. Thiudgif schnaubte kaum hörbar und spürte einen Stich in der Brust. Die Kleine würde eines Tages heiraten, ihr selbst bliebe das verwehrt. Sklaven heirateten nicht. Sklaven gehörten ihrem Herrn, der nach seinem Willen über sie verfügte, sie sogar verkaufen konnte, wenn er ihrer überdrüssig war. Sie hatte
davon geträumt, unter Flötenklang in das Haus der Familie eines Bräutigams gebracht zu werden. Deshalb hatte sie auf sich achtgegeben, die Burschen von sich ferngehalten. Schließlich gehörte sie nicht zu den Mädchen, denen die jungen Männer nicht nachzustellen wagten, weil sie harte Strafen fürchten mussten. Bei ihr hatten sie es durchaus versucht, auf Dorffesten und Volksversammlungen.
Dann war sie verschleppt worden, und ganz sicher hätte der schmierige Sklavenhändler mit dem gierigen Blick nicht viel Zeit verloren, wenn er sie nicht hätte abgeben müssen. Wegen eines Würfelspiels. Alle Männer waren versessen auf Würfelspiele, manche verloren dabei Haus und Hof und Freiheit. Aber der Mann, der sie gewonnen hatte, hatte nie sein Recht geltend gemacht. Er behandelte sie wie eine Wäscherin, wie eine Hausmagd und ließ sie ansonsten in Ruhe. Es ging ihr besser als bei ihrem Onkel, der bei den jüngeren Mägden kaum eine Gelegenheit ausließ, sie anzufassen, in den Hintern zu zwicken und dabei anzüglich zu blinzeln. Was die jungen Dinger in Schrecken versetzte.
Sie würde nie eine Braut sein! Nie auf einem mit Blüten bestreuten Bett ihren Bräutigam erwarten. Wie es ging, wusste sie ja, sie war ja nicht blind und taub. Aber wie es tatsächlich wäre … Sie klammerte die Hände in die Decke, um den Schweiß zu trocknen, und wischte dann hastig über ihre wunden Lider, rollte sich auf die Seite und schloss die Augen. Vom Wall ertönten die Signale zum Wachwechsel, dem letzten vor Tagesanbruch. Thiudgif horchte auf das Stampfen der abrückenden Wachmannschaften, doch ihre Gedanken kamen nicht zur Ruhe, wie gefangene Vögel schwirrten sie umher. Lichte Auwälder lagen vor ihr, abgeerntete Felder, verlassene Dörfer, die sich hinter Palisaden duckten, der Widerschein des Feuers an den dunklen, tief hängenden Wolken,
die Menschenmenge, die vor dem Tor zusammenströmte und sich vor Amra teilte. Die von zuckendem Fackellicht erhellte, schnurgerade Lagerstraße. Thiudgif hatte nie zuvor ein Heerlager betreten und wunderte sich, dass sie keine besondere Furcht empfunden hatte. Die stattliche Gestalt des Legaten, der den Wall herunterschritt, die feixenden Gesichter zweier Soldaten, eine Hand schloss sich um ihren Arm. Sie fröstelte. Niedlich
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