Varus - Historischer Roman
und Proviant, vorbei an den Ersatzpferden der Stabsoffiziere und der Legionsreiterei. Der Regen fiel in dichten, schweren Tropfen, behinderte die Sicht. Mühsam wischte Annius immer wieder die Nässe aus den Augen.
Plötzlich stolperte sein Pferd, Annius rutschte über die Hörnchen, die ihn empfindlich in die Leisten stießen. Er schrie leise auf, krümmte sich, riss an den Zügeln, doch das Tier gehorchte ihm nicht. Es gelang ihm, im Sattel Halt zu finden. Als Caldus ihn unwirsch zur Eile anspornte, verfluchte er den jungen Kerl stumm.
Endlich erblickte Annius die beiden verschleierten Gestalten, die Magd im schlammtriefenden Umhang, die das Maultier führte, und stieß einen leisen Ruf aus. Sie hielten an, und der Tribun sprang vom Pferd. Annius schwang nach kurzem Zögern ein Bein über den Hals des Pferdes und rutschte vorsichtig hinunter. Als seine Füße in den Morast tauchten, quoll Wasser durch die Ritzen der Sandalen. Annius taumelte vorwärts und überließ das Pferd sich selbst, hoffte, dass ein anderer sich des Tieres annahm, während Caldus winkte, ihm zu folgen. Sie stolperten zu den Frauen, die in nassdunkle Mäntel gehüllt waren. Der Tross stand, kein Mensch, kein Tier, kein Rad rührte sich von der Stelle. Annius erkannte Amra, die bei seinem Anblick große Augen machte.
»Wo ist Rufilla?«
Die Frau wies hinter sich auf den Wagen. »Sie ist hingefallen, hat sich den Knöchel vertreten.«
Hastig wollte Annius weiterlaufen, doch sie hielt ihn fest. »Es ist nicht schlimm, Titus Annius«, raunte sie ihm zu.
Das Mädchen starrte ihm aus schreckgeweiteten Augen entgegen, als er den Wagenschlag beiseitewarf. Er wollte beschwichtigend die Hände heben, als sie ihm mit einem erstickten Aufschrei um den Hals flog. Leise flüsterte sie seinen Vornamen - nach Sklavenart, dachte er. Aber er hörte es gern, es erfüllte ihn mit willkommener Wärme. Dann schob er sie von sich. Er hatte Caldus’ Atem im Nacken gespürt. Tatsächlich stand der Tribun dicht hinter ihm.
»Dieser Mann«, Annius sah sie eindringlich an und deutete mit dem Daumen über seine Schulter, »Gaius Caelius Caldus heißt er … Er will dir einige Fragen stellen.«
Schniefend wischte sie mit dem Ärmel über ihr Gesicht und blickte mit einem dünnen Lächeln an Annius vorbei. »Was will er fragen?«
»Es geht um die … Schlägerei. Die Männer … denen du damals im Wald begegnet bist. Die du beobachtet hast. Am Flussufer.«
Thiudgif schrie auf. Ihre Hände stießen vor. »Du hast mich verraten!« Sie traf sein Gesicht. Mehrmals. Kratzte. »Du hast geschworen, du wirst schweigen! Du hast gelogen!«
Er bekam ihre Arme zu fassen, hielt sie fest, schüttelte sie leicht. Seine Wangen brannten, und die Nässe biss in den feinen Schürfungen, die ihre Nägel hinterlassen hatten.
»Es ist wichtig. Es geht um … das kleine Raubtier. Welches Raubtier meinten sie? Weißt du den Namen? Kannst du es beschreiben?«
Sie sprach ein Wort aus, das Annius nicht verstand. »Klein und braun«, fuhr sie fort und formte etwas mit den Händen nach. »Mit weißem Bauch und sehr dünn. Im Winter ganz weiß. Es hat kurze Beine und einen langen -«
»Ein Wiesel!«, rief Annius. »Sie meint -«
»Segestes«, unterbrach Caldus ihn. »Also stimmt es doch!«
Er trat so dicht neben Annius, dass ihre Körper eine Wand bildeten und es im Wagen dunkel wurde. Das Mädchen wich zurück, duckte sich und schützte das Gesicht mit den Armen.
»Der Mann wurde nicht wegen einer Kleinigkeit getötet. Nicht wegen eines Würfelspiels, nicht wahr?«, fragte der Tribun.
Regungslos hockte sie vor den Kisten und Säcken, keineswegs außer Reichweite der Männer. Annius schob die Handflächen unter die Wangenklappen. Ein Helm schützte vor so manchem, aber nicht vor den Nägeln einer wütenden Frau.
Unvermittelt sackten ihre Schultern herab und sie ließ die Hände sinken. »Sie nannten ihn Verräter.«
»Haben sie einen Namen genannt?«
Das Mädchen schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß nicht. Sie sagten mehrmals etwas zu ihm, etwas wie … Sec… Secu…« Sie zuckte die Achseln, blickte mit eingezogenem Kopf auf.
»Secutus?«, fragte Caldus leise.
»Vielleicht … Ich weiß es nicht.« Sie barg das Gesicht in den Händen, und ihre Schultern zuckten.
Annius spürte, dass Caldus ihm eine Hand auf die Schulter legte. »Das reicht. Kümmere dich um sie!« Dann entfernte der junge Tribun sich.
Annius versuchte ein Lächeln, tippte das Mädchen an. Sie
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